Ernst Molden auf dem Friedhof St. Marx. Ein bisserl Klischee und Pose darf sein.

Foto: Heribert Corn

Vom Hut bis zur Hose trägt er schwarz. Noch die Federn, die das Hutband hält, glänzen in der Spätsommersonne bloß dunkelgrau, eine Sonnenbrille rundet die Erscheinung ab. So stakst er über den St. Marxer Friedhof. Und hätte er nicht eine Gitarre dabei, er ginge als Bestatter oder Leichenfledderer durch. Doch Ernst Molden ist Musiker. Nicht nur, er schreibt auch, aber er ist doch ziemlich Musiker, ein Wiener Musiker. Einer, den die Stadt stark inspiriert und der damit in den letzten 20 Jahren zu einer der wesentlichen Kräfte der heimischen Musik wurde.

Der 1967 Geborene gilt als Landstraßen-Taliban – da lacht er –, denn im dritten Hieb wohnt er, und den liebt er heiß und lobpreist ihn nicht selten. Vor zehn Jahren ist der Vater dreier Kinder mit seiner Familie nach Erdberg gezogen. "Es ist das erste Mal, dass ich in einem Bezirk wohne, wo ich nicht nach Fluchtwegen suche." Sagt er und dreht sich einen Tschick. Er mag die Zusammensetzung des Bezirks: die großen Gemeindebauten, die türkische Hood in Untererdberg, das bürgerliche Grätzel beim Arenbergpark.

"Oh Gott!"

Die Wien-Affinität seiner Musik hat ihm irgendwann die Zuschreibung Wienerlied-Erneuerer eingebracht. "Oh Gott!", entfährt es ihm da, bevor er meint, dass das Problem nicht das Wienerlied sei, sondern bloß die dazugehörige Orthodoxie. Die sei genauso mühsam wie die Jazzpolizei oder jene, die glaubt, sich um den Blues verdient zu machen. In Wahrheit ist das Schrebergartenmentalität, also eh typisch wienerisch. Der Blues, polizeilich zugelassen oder nicht, der ist das nächste Stichwort.

Dieser Gattung ist Molden früh erlegen. In den 1980ern schon. Da zog der Teenager aus Wien-Döbling mit seiner Familie nicht ganz freiwillig nach Tirol. Der Verlag seines Vaters Fritz Molden war krachen gegangen, nur ein Haus in Tirol war der Familie geblieben. Im Internat traf der altersgemäß renitente New-Wave-Schnösel aus dem Wasserkopf auf einen Musiklehrer, der ihn auf alte Folk- und Blues-Musik brachte. Wenn Molden das erzählt, fällt das Wort "Schicksal".

Sehnsuchtsort New Orleans

Aus dieser Prägung und seiner Lebensumgebung speist sich heute noch ein Grundgefühl seiner Musik. Egal, ob er mit Willi Resetarits spielt, mit dem Nino aus Wien oder mit der Schauspielerin Ursula Strauss. (Mit der schnellen Ermittlerin veröffentlichte er im Frühjahr das Album Wüdnis.)

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Dass Molden mit der Orthodoxie ein Problem hat, belegen die Voodoo-mäßigen Ketten, die er um den Hals trägt. Das hat ein bisserl was Großstadtindianerisches, verweist tatsächlich aber auf einen seiner Sehnsuchtsorte. Wenn sein Geist auf Reisen geht, ist das Ziel oft New Orleans. Die Stadt am Mississippi-Delta hat er vor ein paar Jahren dann endlich auch körperlich besucht.

Der Totenkult

"Die Musik einmal mit den Gewürzen und den Gerüchen erleben." Die Reise sei eine Selbstversicherung gewesen, dass man tun muss, was man zu tun hat, und ein Lehrstück für Offenheit: "Die grenzen ihre Genres nicht so ab, das war sehr inspirierend. Mit Wanda, Bilderbuch, Voodoo Jürgens oder dem Nino ist bei uns was Ähnliches passiert, als die Leut’ sich eine Zeitlang nix neidig waren."

Wien ist zwar nicht New Orleans, doch bezüglich Totenkults muss sich Wien nicht verstecken. Dass das Treffen auf einem Friedhof stattfindet, trieft diesbezüglich vor Klischees. Wiewohl Molden, darauf angesprochen, einwendet, dass der alte Biedermeierfriedhof längst als Park gewidmet ist: "Es ist ein Friedhof ohne Angehörige, die sind auch schon alle tot."

"Unsinn!"

Selbst wenn er sie weitgehend vermeidet, kennt Molden natürlich die Klischees des morbiden Wien. Er kennt Stehsätze wie "Der Tod muss ein Wiener sein."

"Das ist natürlich ein Unsinn", sagt er. "Der Wiener fürchtet den Tod wie alle anderen, aber er denkt ihn sehr mit. Im klassischen Wienerlied gibt es immer drei Strophen: Die erste sagt, mein Gott, wie schön ist der Leopoldsberg. Dann kommt: Wie ich jung war, war der Leopoldsberg aber noch viel schöner und der Wein billiger, und die dritte lautet dann: Wenn i einmal stirb, möcht i am Leopoldsberg begraben sein." Da lacht er.

Der Trotz des Trotts

Diese Mischung aus Lebensbejahung, Nostalgie und Ewigkeitsdenken sieht er als einen Grund für das legere Tempo der Stadt, die er für viele ihrer Eigenheiten verantwortlich macht. Nur einmal machte er sich diesbezüglich Sorgen. Als Wien nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vom Rand plötzlich in die Mitte rückte. Damals arbeitete er als Lokalreporter bei der Presse, und damals hat sich viel verändert und verschoben – nur nicht das Tempo; das blieb unbeeindruckt vom Weltgeschehen.

Die ganzen neu zuziehenden Ungarn oder Böhmen konnten Wien, an das sie einst schon so lange angegliedert waren, nicht längerfristig in Aufregung versetzen. Der Trotz des Trotts. "Das war schön, und so eine Gemächlichkeit ist natürlich sehr kunstproduktionsfreundlich."

Inspiration Feuchtgebiet

Zur eigenen Kunstproduktion geht der Landstraßer manchmal sogar fremd. Nicht ehegefährdend, bloß mikrogeografisch. Dann radelt er rüber in den Prater in den zweiten Bezirk. Es zieht ihn zu den Sümpfen hinterm Lusthaus, links. Klar, dort liegen die Bayous von Wien, wenn man so will. "Ja", sagt Molden, der Grund sei aber ein anderer. Schon als Kind stapfte er durch diverse Feuchtgebiete. Damals wollte er Naturforscher werden. Zu diesem Behufe fing er mit dem Kescher Frösche und studierte sie zu Hause in Terrarien, bevor er sie wieder freiließ.

Heute fahre er in die Sümpfe, um Songs zu fangen. Mit ähnlicher Begeisterung, bloß mit einem anderen Werkzeug und einem anderen Beuteschema. (Karl Fluch, 15.9.2020)