Nachdem es Angriffe von Rechtsextremen gegeben hatte, gingen kurdische und linke Aktivisten in Wien-Favoriten auf die Straße.

Foto: APA/Schrötter

Drohnen, Verbrechensvorhersage und nun Gesichtserkennung: Die österreichische Polizei greift immer mehr zu Mitteln, die man noch vor wenigen Jahren nur aus Hollywoodfilmen kannte. Mit Anfang August ist nun das Gesichtserkennungssystem des Innenministeriums nach einem mehrmonatigen Versuchs- in den Regelbetrieb übergegangen. Und es wird eifrig genutzt. So kam die Software zur Ausforschung von Demonstranten zum Einsatz, wie dem STANDARD vorliegende Dokumente zeigen. Dies wird auch vom Innenministerium bestätigt. "Der digitale Bildabgleich ist im Zusammenhang mit den Vorfällen in Favoriten zum Einsatz gekommen", sagt Innenministeriumssprecher Patrick Maierhofer.

Einsatz in Wien-Favoriten

Er meint damit die Demonstrationen Ende Juni und Anfang Juli in Wien-Favoriten, die nach einem Angriff türkischer Nationalisten auf eine feministische Kundgebung stattfanden. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremisten aus dem Umfeld der türkischen Grauen Wölfe und kurdischen Aktivisten sowie anderen Antifaschisten. Auch das Ernst-Kirchweger-Haus (EKH), ein linkes Kulturzentrum, in dem sich auch ein kurdisches Vereinslokal befindet, wurde attackiert. Neben Sachbeschädigungen kam es auch zu Körperverletzungen.

Um mutmaßliche Täter auszuforschen, war die Gesichtserkennungssoftware den Ermittlern zu Diensten. Laut Innenministerium lieferte sie auch "eine erste Übereinstimmung, die allerdings noch vom Verfassungsschutz bestätigt werden muss". Insgesamt wurden bisher 47 bekannte und 59 unbekannte Personen angezeigt. Laut STANDARD-Informationen wurde die Gesichtserkennung genutzt, um antifaschistische Aktivisten zu identifizieren. Ob sie auch zur Ausforschung von Rechtsextremen genutzt wurde, war nicht in Erfahrung zu bringen.

Fotos aus sozialen Medien

Die Software gleicht Bilder von Überwachungskameras oder anderen Quellen mit Fotodatenbanken der Polizei ab. Das Innenministerium sieht die Nutzung der Fotos durch das Sicherheitspolizeigesetz gedeckt.

Die Software gleicht Bilder von Überwachungskameras oder anderen Quellen mit Fotodatenbanken der Polizei ab.
Foto: Imago

Wie das System genau arbeitet, ist dem Innenministerium nicht bekannt. Die Algorithmen seien "wie bei allen solchen Systemen Betriebsgeheimnis des Herstellers", erklärte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) vor wenigen Tagen in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Neos. Hergestellt wurde es von der Firma Atos IT Solutions and Services mit dem Subunternehmen Cognitec Systems. Der Preis betrug stolze 450.000 Euro. Als das System vorgestellt wurde, hieß es, dass der Fokus auf der Aufklärung schwerer Straftaten liege. Eine Beschränkung auf Delikte mit einer gewissen Strafhöhe ist nicht vorgesehen.

Kritik von Datenschützern

Der Einsatz der Software, die vom Innenministerium neuerdings als "digitaler Bildabgleich" bezeichnet wird, ruft auch Kritiker auf den Plan. Sie befürchten Verwechslungen und betonen, dass Algorithmen fehlerhaft sind. "Gesichtserkennung ist deshalb so gefährlich, weil damit die Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum eingeschränkt wird", erklärt Thomas Lohninger, Geschäftsführer der Datenschutz-NGO Epicenter Works. "Mit dem Überwachungspaket unter Innenminister Sobotka wurde bereits 2017 die Basis dafür geschaffen, Bilder der Videoüberwachung von Bahnhöfen, U-Bahn-Stationen und öffentlichen Plätzen in Echtzeit ans Innenministerium zu liefern."

Lohninger kritisiert auch die "schleichende Einführung" der Technologie. "Das Vorgehen ist zu hinterfragen, weil es keine explizite Rechtsgrundlage für Gesichtserkennung gibt", so Lohninger. (Markus Sulzbacher, 15.9.2020)

Update 15.9. 2020, 12:00: Das Innenministerium betont, dass kein Fotos aus Sozialen Medien für den Fotoabgleich genutzt wurden. Derartige Fotos werden werden nur bei "normalen Erhebungen" genutzt. In einer früheren Version des Artikels wurde eine Stellungnahme des Ministeriums zitiert, die "missverständlich" war. Auch wäre ein Abgleich nicht rechtlich gedeckt.