Der Brite Ken Follett würde nicht über den Brexit schreiben – zu absurd sei dieser.

Foto: Olivier Favre

Die Säulen der Erde, Die Tore der Welt, die dreiteilige Jahrhundertsaga oder Das Fundament der Ewigkeit heißen die Bücher des britischen Bestsellerautors Ken Follett. Über 160 Millionen Bücher hat der 71-Jährige in seiner Karriere verkauft. Leicht lesbar sind sie, auf Spannung gebaut und mit Liebesszenen garniert. Heute erscheint Folletts neuer Wälzer Kingsbridge – Der Morgen einer neuen Zeit (Lübbe, € 36), wieder 1.000 Seiten dick.

STANDARD: Wie schreibt man einen Bestseller?

Follett: Der Schlüssel ist, dass die Leser die Emotionen der Hauptfiguren teilen. Wenn sie sich fürchten, müssen sich auch die Leser fürchten. Wenn sie von anderen drangsaliert werden, müssen die Leser wütend werden. Und wenn jemand lügt, muss der Autor natürlich sagen, dass diese Figur Angst hat, aufzufliegen und sich dann schämen würde. Das muss man dem Leser bieten. Wenn man das schafft, dann wird ein Buch ein Erfolg und populär. Kriegt man es nicht hin, dann mag ein Buch vielleicht dennoch bewundert werden, weil es gut geschrieben oder interessant ist, aber niemand wird es lieben.

STANDARD: Fühlen Sie nach 20 Bestsellern noch den Druck? Oder stehen Sie schon drüber?

Follett: Ich denke die ganze Zeit daran und es beschäftigt mich natürlich, dass zehn Millionen Menschen mein letztes Buch gemocht haben und sich auf das neue freuen. Aber ich liege deshalb nicht nachts wach.

STANDARD: Sie stehen also nie nachts auf, um einen missglückten Absatz neu zu schreiben?

Follett: Nein, ich warte auf den Morgen. Aber das ist sowieso nicht etwas, das in der Nacht passiert, sondern am Ende eines Arbeitstages.

STANDARD: Wann hört der auf?

Follett: Ich schreibe von Montag bis Freitag, beginne oft gegen fünf in der Früh, gegen drei, halb vier nachmittags funktioniert dann meine Fantasie nicht mehr so gut, und ich höre auf. Wenn ich bis dahin fünf Seiten schaffe, ist das gut. Vier sind okay, drei wären schlecht.

STANDARD: Wie sieht ein guter Satz aus?

Follett: Erst einmal muss der Leser ihn sofort verstehen. Ich will nicht, dass ein Leser sich jemals fragen muss: Oh, was meint Follett mit dem Satz? Das wäre für mich ein Versagen!

STANDARD: Und zweitens?

Follett: Die Wörter müssen, besonders, wenn ein Satz am Anfang eines Kapitels steht oder eine Überraschung enthüllt, so geordnet sein, dass das emotionale Gewicht klar ist. Etwa war beim ersten Satz "The small boys came early to the hanging" in Säulen der Erde wichtig, dass da als letztes Wort "hanging" steht: Das hat Punch, weil wir an spielende Kinder denken, ehe er mit einer Hinrichtung endet.

STANDARD: Diese Balance aus Verbrechen und Liebe, Idylle und Brutalität gibt es oft bei Ihnen.

Follett: Ein Weg, dass der Leser die Figuren liebgewinnt, ist auch, dass in der Geschichte jemand diese Figur liebt. Er mag sie, wenn eine andere Figur denkt, sie sei wundervoll.

STANDARD: Regelmäßig führt das bei Ihnen zu Sex. Wie schreibt man eine spannende Sexszene?

Follett: Eine Sexszene ohne Drama ist nur Pornografie, da muss noch etwas passieren, das die Szene interessant macht. Oft mache ich es so, dass die Figuren nervös sind. Dass also die Frau denkt: Was wird er denken, wenn er mich zum ersten Mal nackt sieht? Oder der Mann: Oh Gott, ich hoffe, ich krieg ihn hoch!

STANDARD: Sex gibt es auch in "Kingsbridge – Der Morgen einer neuen Zeit". Es spielt in der Stadt Combe, über die sie schon dreimal geschrieben haben. Nun schreiben wir das Jahr 997, es gibt Wikinger. Warum noch einmal dieser Ort?

Follett: Ich bin darauf zurückgekommen, weil ich diese Stadt mag. Leser haben sie im Mittelalter und im 16. Jahrhundert gesehen, und ich fand es spannend, zu schauen, wie diese Stadt begonnen hat. Was war sie zuvor? Welche Faktoren haben sie wichtiger gemacht?

STANDARD: Ihre historischen Romane und Thriller gehen tief in so verschiedene Epochen wie das Mittelalter, den Zweiten Weltkrieg, Kalten Krieg. Sie haben ein echtes historisches Interesse?

Follett: Ich bin daran interessiert, wie Gesellschaft funktioniert.Am Anfang stehen Kriege oder Revolutionen, selten ein Erdbeben. Meist wird Geschichte von den Hoffnungen und Ängsten von uns Menschen geformt. Automatisch ergibt das auch Geschichten, weil es immer Menschen gibt, die Veränderung wollen, und jene, die sie nicht wollen.

STANDARD: Was ist die Wichtigste, was sie von der Geschichte durchs Schreiben gelernt haben?

Follett: Viele meiner Geschichten handeln von Menschen, die für Freiheit kämpfen: ob für religiöse Freiheit im 16. Jahrhundert oder später die Bürgerrechtsbewegung. Ich habe verstanden, dass man geduldig sein muss. Wir, die an Freiheit und Liberalität glauben, gewinnen letztlich, auch wenn es Rückschläge gibt. Wir sind am Ende immer besser ausgestiegen.

STANDARD: Wenn Sie sich an den Schreibtisch setzen, wissen Sie, wohin die Geschichte führt?

Follett: Ich verwende viel Zeit darauf, einen Plan zu erstellen, dem ich sehr genau folge. Ich weiß, was in jedem Kapitel passiert, wer die Figuren sind. Diese Entscheidungen muss ich getroffen haben, bevor ich Kapitel eins zu schreiben beginne. Ich recherchiere auch viel.

STANDARD: Und lassen Historiker gegenlesen ...

Follett: Vielleicht kommt das, weil ich früher bei einer Lokalzeitung gearbeitet habe, und wenn man einen Namen falsch schrieb, rief der den Herausgeber an, der schimpfte: Follett, du kannst nicht Namen falsch schreiben!

STANDARD: Steht in den Plänen auch, auf Seite 50 muss eine Wendung, auf 71 eine Sexszene?

Follett: Wendungen braucht man viel häufiger! Alle vier bis sechs Seiten sollte etwas passieren, das die Lage für die Figuren verändert. Das kann etwas Großes wie ein Mord oder was Kleines wie eine Lüge sein. Geht es schneller, scheint die Geschichte verrückt, dauert es länger, beginnt der Leser sich zu langweilen.

STANDARD: Lesen Sie auch ernste Literatur?

Follett: Ja, aber immer nur ein paar Seiten. Wenn ich literarische Autoren mag, dann nie wegen ihres Stils, sondern weil mich etwa bei Proust seine Ideen interessieren. Seine Sätze sind viel zu lang. Manche literarischen Autoren verstehen etwas von einer guten Geschichte, aber viele haben keine Ahnung. (Michael Wurmitzer, 15.9.2020)