Die Frage, warum die mutmaßlichen Malversationen bei Wirecard nicht auffielen, ist noch nicht geklärt.

Foto: AFP/Stache

Mitunter gibt es in der Causa Wirecard auch gute Nachrichten. Etwa jene von der Insolvenzverwalterin der Österreich-Tochter des deutschen Zahlungsabwicklers, die am Montag berichtete, dass sich für den Kauf der Grazer Wirecard Central Eastern Europe vier Interessenten gefunden hätten und ein Verkauf bevorstehe. Mit der Plattform für Kundenzahlungen sollen auch die 22 Mitarbeiter übernommen werden.

Die Aufarbeitung des Riesenbilanzskandals beschäftigt nicht nur die Ermittler der Münchner Staatsanwaltschaft, längst sind auch Behörden und Gerichte anderer Länder damit befasst – und auch die Politik hat sich des Themas angenommen. In Österreich etwa, von wo der frühere und mittlerweile in U-Haft sitzende Wirecard-Vorstandschef Markus Braun und sein flüchtiger Vorstandskollege Jan Marsalek stammen, ebenso wie der stellvertretende Wirecard-Aufsichtsratsvorsitzende Stefan Klestil.

Heikle Frage nach Verantwortung

Der 52-Jährige Fintech-Experte und Start-up-Förderer war seit 2009 Aufsichtsratsmitglied, wurde 2019 Vizevorsitzender und sitzt auch im Kontrollgremium der Wirecard-Bank. Er ist eines von drei Kindern des früheren Bundespräsidenten Thomas Klestil (ÖVP). Auch er muss sich nun die Frage gefallen lassen, warum den Kontrolleuren der milliardenschwere Betrug (rund 1,9 Milliarden Euro an Bankeinlagen von Wirecard dürfte es nie gegeben haben; es gilt die Unschuldsvermutung) nicht aufgefallen ist.

Klestil soll Ex-Wirecard-Boss Braun und Marsalek seit 2008 kennen, aus seiner Zeit beim international tätigen Zahlungsverkehrsanbieter First Data. Klestil war dort für den zentraleuropäischen Raum zuständig, Braun und Marsalek mit ihrem jungen Online-Geschäftsmodell heuerten ihn für den Aufsichtsrat an.

Drei Österreicher an Bord

Klestil hatte damals schon einen guten Ruf, Braun und Marsalek waren (noch) weitgehend unbekannt. Die beiden dürften einander gut ergänzt haben: da der eher hölzerne, strenge Braun, dort das international vernetzte Verkaufstalent Marsalek, mit allen auf Du und Du.

Klestil, seit 2014 Partner und Fintech-Chef des Wiener Start-up-Finanzierers Speedinvest, eilt schon lange der Ruf voraus, eine gute Nase für vielversprechende Start-ups zu haben. Verstärkt wurde diese Zuschreibung etwa dadurch, dass der Handelswissenschafter mit Masterdegree von der New Yorker Columbia University als Erster in die heutige Onlinebank N26 investierte.

Der Fintech-Experte und Start-up-Finanzier Stefan Klestil saß ab 2009 im Wirecard-Aufsichtsrat. Nun muss er sich die Frage gefallen lassen, warum den Kontrolleuren die Malversationen nicht aufgefallen sind.
Foto: HO

Schadenersatzklage gegen Klestil

Wirecard-Anleger und deren Anwälte sehen eine Mitverantwortung für das Desaster nun aber auch beim Aufsichtsrat des ehedem börsennotierten Zahlungsdienstleisters – was das Gremium zurückweist. Anwalt Eric Breiteneder hat vorige Woche eine Schadenersatzklage gegen Klestil persönlich eingebracht. Klestil – er lebt mit Frau und vier Kindern in Wien – habe die gebotene Kontrolle unterlassen, heißt es in der am 7. September eingebrachten Klagsschrift sinngemäß, der Kläger habe 43.000 Euro Schaden erlitten. Das Handelsgericht Wien hat die Klage am 9. September zurückgewiesen, mangels Zuständigkeit. Der Beschluss ist nicht rechtskräftig.

Klestil selbst gibt zu alldem keine Stellungnahme ab. Der Wirecard-Aufsichtsrat ließ die Medien vor Wochen schon wissen, Klestil unternehme wie der gesamte Aufsichtsrat alles, um zur raschen und lückenlosen Aufklärung beizutragen. Klestil fühlt sich angeblich selbst hintergangen, sein Ruf und seine Expertise seien missbraucht worden.

Denken und spenden

Wobei sich Klestil in Österreich nun auch mitten in der Parteipolitik wiederfindet. Braun (Mitglied in Sebastian Kurz' Thinktank "Think Austria") spendete nämlich eifrig an Parteien: der ÖVP 70.000 Euro (2017) und den Neos 2014 bis 2016 in Summe 125.000 Euro. Die FPÖ sieht vor allem "schwarze Fäden" im Wirecard-Skandal und inkludiert Klestil in diese Verortung des Bilanzskandals – was Klestil besonders schmerzen dürfte, hatte er doch einst, als sein Vater Bundespräsident wurde, Österreich verlassen, auch um abseits derartiger Zuordnungen im Ausland zu studieren.

Allerdings: Im Nationalratswahlkampf 2019 war Klestil dann in einem Personenkomitee aktiv – für die Neos. (Renate Graber, 15.9.2020)