Im Gastkommentar kritisiert der Ökonom Kurt Kratena surreale Visionen wie "Klimaneutralität".

Birgit Hebein beim Wahlkampfauftakt. Den grünen Bauhelm bekam die Vizebürgermeisterin von Vizekanzler Werner Kogler, denn sie habe schon bei so manchen Projekten selbst Hand angelegt.
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Die Wiener Grünen haben für die Wien-Wahl ein Programm mit dem Fokus auf Klimaschutz vorgelegt, das neben Visionen wie Klimaneutralität auch einige Maßnahmen enthält. Das generelle Problem der Klimapolitik in Europa ist, dass ein Teil schon jetzt auf einer zu kleinräumigen, regionalen Ebene – der nationalen – stattfindet. Dies könnte aber durch eine zusätzliche, eigenständige Klimapolitik auf noch kleinerer regionaler Ebene – Wien – weiter gesteigert werden.

Der EU-weite Emissionshandel wird durch "nationale Klimapläne" für die Sektoren, die nicht im Emissionshandel erfasst werden, also Gewerbe, Haushalte, Verkehr, ergänzt. Die Problematik der Ineffizienz national und regional begrenzter Politik betrifft vor allem den Verkehr, der per definitionem grenzüberschreitend ist. Das reicht von der Frage der Besteuerung bis zum transnationalen Bahnnetz und den abgestimmten Fahrplänen. Bereits national isolierte Politik führt daher zwangsläufig zur Verlagerung von Emissionen und nicht unbedingt zur Reduktion der globalen Emissionen. Ein gutes Beispiel dafür ist der durch die deutsche Steuererhöhung für Treibstoff vor 20 Jahren ausgelöste "Tanktourismus", der die österreichischen Emissionen permanent erhöht hat.

Null Einfluss

Auf regionaler Ebene stellt sich das Dilemma von Verlagerung und Ineffizienz einerseits dadurch, dass die Treiber des Verkehrs nicht auf der Ebene der Stadt bestimmt werden, und andererseits dadurch, dass eine national ineffiziente Politik auf regionaler Ebene verstärkt wird. Die treibenden Faktoren für Pkw-Besitz und Fahrleistung sind soziodemografische Charakteristika wie Wohnort, Haushaltsgröße und -einkommen sowie Preise. Alles Faktoren, auf die die Politik in Wien null Einfluss hat.

Auf der nationalen Ebene belastet die Verkehrsbesteuerung den Besitz und den Kauf von Autos. Die Fahrleistung wird einerseits besteuert (Mineralölsteuer) und mit ineffizienten, weil nicht fahrleistungsabhängigen Gebühren belastet (Autobahnvignette), andererseits wiederum subventioniert (Pendlerpauschale). Letzteres trägt zur Verkehrsbelastung in Wien bei und könnte durch Anreize, das Auto an der Stadtgrenze oder schon vorher abzustellen, gelöst werden. Stattdessen wird der Parkraum in Wien aber in einer Art und Weise bewirtschaftet, die die einseitige Belastung der Pkw-Fixkosten verstärkt und damit das Fahren relativ belohnt.

Internationale Trends

Ein Tag in mancher Park-and-ride-Anlage am Stadtrand kostet drei bis vier Euro, das ist der Gegenwert von Treibstoffkosten für 50 gefahrene Kilometer. Die Parkraumbewirtschaftung für in Wien lebende Pkw-Besitzerinnen erhebt generell relativ geringe Kosten für den öffentlichen Parkraum, der dann allerdings nicht vorhanden ist, da in manchen Bezirken die Auslastung gemessen an den angemeldeten Pkws bei über 100 Prozent liegt. Diese verordnete Verknappung ohne Marktmechanismus reduziert die Fahrleistung kaum, soll aber die Attraktivität des Pkw-Besitzes verringern und über diesen indirekten Hebel die Fahrleistung verringern. Sicher, das kann funktionieren; regulatorische Zwangsmaßnahmen können indirekt wirken.

Die tatsächlich beobachtbare Verringerung des Pkw-Verkehrs in Wien ist aber zu einem Gutteil eine Folge globaler Megatrends in Städten. Der Modal Split hat sich aufgrund des guten Angebots öffentlicher Verkehrsmittel, der geringeren Pkw-Dichte und der veränderten Präferenzen seit 1993 massiv vom Pkw zum öffentlichen Verkehr verschoben – lediglich der Anteil des Radverkehrs ist mit sieben Prozent konstant geblieben. Ein Teil der grünen Politik, die laut Wahlprogramm fortgesetzt werden soll, besteht einfach darin, sich an diese Trends anzuhängen. In vielen Städten entstehen fast automatisch Räume mit wenig Autoverkehr, was die Politik durch bauliche Maßnahmen, etwa Begegnungszonen, verstärken kann. Dadurch entstehen aber Kosten, denen wahrscheinlich kein zusätzlicher klimapolitischer Effekt gegenübersteht.

Konterkariertes 1-2-3-Ticket

Was sollte oder könnte dann grüne Politik für Wien noch tun? Sehr viel kann im Bereich Adaptierung an den Klimawandel gemacht werden. Das betrifft in Städten den Schutz vor extremen Wetterereignissen und Temperaturen durch Eindämmung von "Hitzeinseln" und andere Schutzmaßnahmen unter besonderer Berücksichtigung der vulnerablen Bevölkerung. Weiters könnte die nationale Klimapolitik verstärkt und gefördert oder zumindest nicht konterkariert werden. Denn der Vorschlag im grünen Wahlprogramm für Wien, ein Jahr gratis öffentlich fahren zu können, konterkariert das geplante 1-2-3-Ticket auf nationaler Ebene. Dieses würde den öffentlichen Verkehr ohnehin schon massiv subventionieren, und das Ticket ist – im Bundesländervergleich – in Wien jetzt schon relativ billig.

Für den Ausstieg aus fossiler Raumwärme besteht in Wien durch den hohen Anteil von Gasheizungen im großvolumigen Wohnbau eine besondere Herausforderung. Nationale Förderaktionen, die sich an den einzelnen Haushalt richten, greifen da zu kurz. Die grüne Politik in Wien könnte hier intelligente, komplementäre Maßnahmen entwerfen. Da hält sich das grüne Wahlprogramm aber lieber an surreale Visionen wie "Klimaneutralität". Das ist, um ein bekanntes Filmzitat zu bemühen, "surreal, aber schön". (Kurt Kratena, 15.9.2020)