Rauf und Ebenezer schrauben schon eine Weile am Motor des hellblauen Mazda herum. Sie ziehen Schläuche nach, bauen Teile aus. Das kaputte Auto zum Laufen bringen werden die beiden nie. Weder haben sie den Autoschlüssel, noch befindet sich im Tank Benzin oder im Motor Öl. Das Auto kommt vom Schrottplatz und dienst nur Lehrzwecken. Rauf und Ebenezer arbeiten im Technologiezentrum, einer überbetrieblichen Lehrwerkstätte in Wien-Floridsdorf, wo sie zu Automechanikern ausgebildet werden.

In dem Zentrum, das von Jugend am Werk betrieben wird, absolvieren 300 junge Erwachsene ihre Lehre. Neben Kfz-Technikern erlernen hier Tischler, Elektriker, Fahrradmechatroniker und Damenkleidermacher ihren Beruf. Sie alle sind im System übrig geblieben, haben also keinen echten Lehrplatz in einem Betrieb gefunden. Rauf, 21, erzählt, dass er sechs Monate eine Lehrstelle gesucht hat. Schließlich hat ihn das AMS hierhergeschickt. "In einer Firma die Ausbildung zu machen wäre besser", sagt er. Da gibt es mehr Geld und mehr unterschiedliche Autotypen, "die sich auch starten lassen". Dafür sei hier das Klima entspannter.

Wenn die Schule versagt

Rauf ist aktuell einer von 6700 Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die über das AMS eine überbetriebliche Lehre absolvieren. Das ab den späten 1990er Jahren entwickelte System war als Notnagel gedacht: Für Menschen, die keine Stelle bekommen, wenn es der Wirtschaft schlecht geht und Unternehmen keine Lehrlinge aufnehmen. Die Überbetriebliche dient aber längst nicht nur dazu, Konjunkturschwankungen auszugleichen. Selbst in der Boomzeit absolvieren tausende Jugendliche ihre Ausbildung in einer AMS-Werkstätte. Darunter sind viele, bei denen das Schulsystem versagt hat, die Jugendlichen also nicht gut genug schreiben und rechnen können und deshalb bei Bewährungsgesprächen chancenlos sind.

In den kommenden Wochen wird die überbetriebliche Lehre nochmal an Bedeutung gewinnen. Der Lehrstellenmarkt ist bisher zwar erstaunlich stabil durch die Krise gekommen. 2800 Menschen suchen, finden derzeit laut AMS-Zahlen aber keinen Lehrplatz. Das sind zwar um 800 mehr als vor einem Jahr – eine Explosion ist das aber nicht.

Angesichts der Turbulenzen am Jobmarkt wird freilich erwartet, dass im Herbst die Zahl der jungen Menschen, die nicht unterkommen, steigt. Hinzu kommt, dass in Wien viele Hotels auf Sparflamme operieren und somit ihre Lehrlinge nicht ausbilden können. Daher dürften mehr Jugendliche in die Überbetriebliche kommen. Das AMS bereitet sich darauf vor, bis Jahresende seine Plätze, um ein Drittel aufzustocken. Diese Entwicklung wird auch im Fokus der Chefs der Sozialpartner und der Regierungsvertreter stehen, die am Dienstag zu einem Arbeitsmarktreffen zusammenkommen.

Mehr als ein "Plan B"

Das Treffen wäre eine gute Gelegenheit, um auch darüber zu diskutieren, ob die duale Ausbildung in Österreich nicht entstaubt gehört und ob die überbetriebliche Lehre nicht aufgewertet werden sollte. Aktuell ist sie nämlich nur der "Plan B", wie Stephen Adams, der stellvertretende Leiter des erwähnten Technologiezentrums in Floridsdorf, erzählt. Die Jugendlichen in der überbetrieblichen Lehre sollen, soweit es nur irgendwie geht, in einen richtigen Betrieb wechseln. Die AMS-Partner sind vertraglich dazu angehalten, bestimmte Übertrittsquoten zu erfüllen.

Um diese Quoten zu erreichen, wird in Floridsdorf laufend versucht, Jugendliche in Praktika an Firmen zu vermitteln. Sie sollen zeigen, dass sie für eine Lehre bereit sind. Jeder Lehrling, der bei Jugend am Werk den Übertritt in einen Betrieb schafft, bekommt eine Anerkennungstafel, es gibt einen kleinen Festakt, erzählt Adams. Der Vorteil der Lehre in einem Betrieb liegt ja auch auf der Hand: In vielen Fällen erfolgt nach der Ausbildung die Übernahme der Lehrlinge auf einen fixen Arbeitsplatz. Selbst, wo das nicht klappt, sind die Jobchancen ausgebildeter Fachkräfte gut.

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Aus Sicht der Jugendlichen bietet die überbetriebliche Lehre aber auch Vorteile, wie das Beispiel von Jugend am Werk zeigt. Lehrlinge müssen meist einen Tag in der Woche in die Berufsschule. Diese Zeit reicht nie aus, um schulische Defizite auszugleichen. Die pädagogischen Konzepte in den meisten Berufsschulen sind zudem heillos veraltet. Bei Jugend am Werk gibt es Trainer, die Nachhilfe anbieten, ob in Mathe oder Deutsch. Daneben helfen Sozialpädagogen aus.

All das gibt es in Unternehmen im Regelfall nicht, wo die Strukturen zudem oft hierarchisch sind, was 15-Jährige zusätzlich fordert. Und: In einer Kfz-Werkstätte mag es mehr "echte" Autos geben. In vielen Berufszweigen ermöglicht die Ausbildung in einem einzigen Betrieb aber gar nicht, alles kennenzulernen. Stichwort Lehre im Schnitzelrestaurant.

Das Beste aus beiden Welten?

Eine Möglichkeit, das Beste aus beiden Welten zu bekommen, wäre, die überbetriebliche Ausbildung in der klassischen Lehre mit zu verankern, sagt Stefan Schmid-Heher, der als politischer Bildner in Wien arbeitet und früher als Berufsschullehrer tätig war. Einen gewissen Teil der Ausbildung würde dann jeder der aktuell über 90.000 Lehrlinge fix in einer Überbetrieblichen absolvieren. Wobei: Dafür bräuchte es gute Plätze, auch bei AMS-Partnern variiert die Qualität. Nachhilfe und Pädagogen sind nicht überall Standard.

Wie sehr die überbetriebliche Lehre aufgestockt werden muss und welche anderen Angebote für junge Jobsuchende nötig sind, dürfte sich ohnehin zeigen. Die Arbeitslosigkeit bei den unter 25-Jährigen ist in den Krisenmonaten März und April drastisch gestiegen, viel stärker als in anderen Altersgruppen. Der Rückgang bei den Jungen war aber seither kräftig. Aktuell sind 61.000 Menschen unter 25 beim AMS gemeldet. Das sind 19 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. (András Szigetvari, 15.9.2020)