Wer liebt, hat Recht, so der Titel eines Romans von Anita Lenz.¹ Das ist seltsam, und zwar nicht inhaltlich, sondern sprachlich. Denn wenige Jahre davor las man noch: Wer liebt, hat recht.² Woher kommt diese Verwirrung?

Einer der vielen Vorzüge der deutschen Sprache ist die Großschreibung von Substantiven und substantivähnlichen Wörtern, die eine rasche Orientierung darüber ermöglicht, von welchen Dingen ein Text handelt: Ich werde ihm ein Angebot machen, das er nicht ablehnen kann, und schon weiß die Leserschaft beim ersten flüchtigen Blick, dass es um ein Angebot geht.³ Im Englischen sieht man das nicht so schnell, denn hier wird das monotone Zeilenband nach dem Satzanfang nirgends mehr mit einem Großbuchstaben durchbrochen: I am going to make him an offer he can’t refuse.⁴

Recht oder recht?
Foto: derstandard.at/recher

Verwirrende Sprachblüten

Hat man nun recht oder Recht? Schuld an der eingangs erwähnten Verwirrung ist die Rechtschreibreform 1996:⁵ Zunächst war der Plan gefasst worden, eine "gemäßigte Kleinschreibung" einzuführen, der glücklicherweise scheiterte (die spinnen; eine schale suppe; der gefangene floh; gestern hörte ich weise reden; ich habe liebe genossen; ein paar schuhe; ich werde sie ihnen vorstellen; helft den armen vögeln).⁶ Daraufhin setzten die Reformer trotzig auf das Gegenteil "vermehrte Großschreibung", was uns Sprachblüten wie im Nachhinein, des Öfteren, im Übrigen, aufs Schönste, des Langen und Breiten und er wird zum Besten gehalten bescherte, also Pseudosubstantive, die uns Gegenstände vorgaukeln, die es gar nicht gibt.⁷

Besonders lästig ist diese Methode bei den sogenannten Kopulapartikeln:⁸ Diese verfügen zwar über gleichlautende Gegenstücke bei den Hauptwörtern, sind selbst aber keine (zum Beispiel angst [und bang], bankrott, ernst [todernst], feind, freund, gram, kopf, leid, not, pleite, schade [jammerschade], schuld, tabu, wert, willens und eben auch recht). Dennoch wurde hier mit der Rechtschreibreform zunächst in vielen Fällen die Großschreibung eingeführt, was besonders lächerliche Beispiele erzeugte (wir sind Spinnefeind; das wird Dir noch bitter Leid tun; er ist völlig Pleite; sie ist mit Schuld) und einige Jahre später zu einem weitgehenden Rückbau oder zumindest zur Zulassung von "Alternativschreibungen" zwang.

Recht haben, behalten, tun, bekommen, geben darf nun nach dem letzten Stand des Regelwerks sowohl groß als auch klein geschrieben werden.¹⁰ Dass aber recht hier ebenfalls kein Hauptwort ist, wird durch die Wendungen wie recht du hast; du hast sehr recht daran getan; alles, was recht ist; er kommt mir gerade recht; zurechtrücken; jetzt erst recht; sie hat ja so recht; mehr schlecht als recht und so weiter besonders augenfällig: In all diesen Beispielen geht es ebenso wenig um das Recht¹¹ wie jemand, siehe oben, Spinnefeinde hat.

Wer über Sprachgefühl verfügt, hat daher auch nach der Rechtschreibreform noch recht. (Michael Rami, 16.9.2020)