Die ursprünglich von dem österreichischen Start-up Smartbow entwickelten Sensoren werden von den Kühen am Ohr getragen und erfassen laufend deren Aktivität und Wiederkauverhalten.

Foto: Smartbow

Zu den herausforderndsten Phasen im Leben einer Milchkuh zählen die Zeitspannen rund um die Geburt eines Kalbes: In den drei Wochen davor und danach kommt es zu zahlreichen physiologischen Umstellungen im Körper der Kuh, im Zuge derer die Tiere anfälliger für Krankheiten sind. An der Veterinärmedizinischen Universität Wien untersucht man derzeit, wie sich die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere mittels moderner Technik verbessern lassen.

Die Zeiten, in denen Milchbauern und -bäuerinnen ihre Kühe sozusagen persönlich kannten und einen siebenten Sinn dafür hatten, wenn ihnen etwas fehlte, sind weitgehend vorbei. Mit steigender Betriebsgröße ist es so gut wie unmöglich, die Tiere individuell zu kennen. Dazu kommt, dass Kühe so lange wie möglich verbergen, dass sie sich nicht wohlfühlen, und dann hilft oft nur noch der Einsatz intensiver medizinischer Therapien.

Vor allem in der sogenannten Transitionsphase, den sechs Wochen rund um die Geburt eines Kalbes, sind Kühe besonders in Gefahr zu erkranken, etwa an Milchfieber oder Ketose. Die Folgen sind einerseits Leiden für die betroffene Kuh, andererseits Kosten für die Besitzer. Sensoren und selbstlernende Software könnten beiden das Leben erleichtern.

Überwachung am Ohr

Rund 500 Transitionskühe eines norddeutschen Milchviehbetriebs nehmen nun an einem von der Veterinärmedizinischen Universität durchgeführten Projekt teil, das von der Firma Zoetis und dem Austrian Competence Center for Feed and Food Quality, Safety and Innovation finanziert wird – Letzteres wird durch das Comet-Programm des Digitalisierungs- und des Klimaschutzministeriums gefördert.

In den nächsten drei Jahren wird die Hälfte der Tiere nach herkömmlicher Methode betreut, also mindestens einmal täglich einer standardisierten und in der Praxis üblichen Untersuchung unterzogen. Die anderen 250 Kühe werden zusätzlich mithilfe der von Zoetis vertriebenen Smartbow-Technologie überwacht. Die ursprünglich von dem österreichischen Start-up Smartbow entwickelten Sensoren werden von den Kühen am Ohr getragen und erfassen laufend deren Aktivität und Wiederkauverhalten.

Aus diesen Daten lernt das auf künstlicher Intelligenz basierende System Animal Pattern Recognition Intelligence (APRIL) die jeweiligen Aktivitätsmuster der Kuh. Gibt es Abweichungen, ist das oft ein Hinweis darauf, dass sie brünstig ist oder eine Krankheit entwickelt. In diesem Fall schlägt der Sensor Alarm auf dem jeweiligen Endgerät des Landwirts – bzw. auf dem Handy oder Tablet eines der Forscher.

Prophylaxe und Präzision

"Die Sensortechnologie ist ähnlich der, die wir aus dem Sport- und Lifestylebereich kennen", sagt Projektleiter Michael Iwersen von der Vet-Med. "Unser Ziel ist, herauszufinden, ob Veränderungen mithilfe der Technik früher bemerkt werden als mit herkömmlichen Methoden. Wir hoffen, mithilfe der sensorbasierten Überwachung der Kühe auch Informationen zu erhalten, die zur Entwicklung neuer Prophylaxe- und Therapiekonzepte führen."

Das Projekt gehört zum Themenkomplex der Präzisionstierhaltung. Dabei geht es zum einen um ökonomische Aspekte in der Tierhaltung, zum anderen profitieren aber auch die Tiere von besserer Gesundheit. Und je genauer man weiß, ob und wann eine Kuh ein Arzneimittel benötigt, desto zielgerichteter bzw. weniger muss gegebenenfalls davon verabreicht werden.

Das wirkt sich nicht nur positiv auf die Geldbörse des Landwirts aus; die Konsumenten erhalten nachhaltig produzierte Lebensmittel, und es gelangen weniger belastete Abwässer in die Umwelt. "Davon profitieren letztendlich alle", fasst Iwersen zusammen. Auskünfte über spezifische Krankheiten können die Sensoren meistens nicht geben. Die Sensortechnologie hat laut Iwersen aber ein enormes Weiterentwicklungspotenzial.

Großer Maßstab

Dass das Projekt ausgerechnet an einem norddeutschen Milchviehbetrieb durchgeführt wird, hat zwei Gründe: "Mit dem Studienbetrieb verbindet uns eine langjährige Kooperation, die zur Durchführung einer solchen umfangreichen Studie nötig ist", sagt Iwersen, "zudem brauchen wir eine gewisse Betriebsgröße, um statistisch abgesicherte Ergebnisse zu erhalten."

Der Betrieb beherbergt neben den 500 Kühen im Dienste der Wissenschaft noch 1250 weitere. Gemeinsam mit ihrem Nachwuchs vertilgen sie pro Jahr 40.000 Tonnen Futter und geben 19 Millionen Liter Milch. Einen Hof vergleichbarer Größe gibt es in Österreich nicht.(Susanne Strnadl, 19.9.2020)