Malen unter den Augen der gestrengen Aufseherin: Auch Anna Taylor-Joy muss wie die anderen "New Mutants" lernen, ihre außerordentlichen Fähigkeiten zu beherrschen.

Foto: Disney

Die X-Men-Filme waren immer allegorieaffin, New Mutants macht da keine Ausnahme. Es beginnt bei der Postproduktionsgeschichte: 2017 bereits fertig, wurde die Veröffentlichung immer weiter hinausgeschoben. Letztes Jahr kaufte Disney Teile von 21st Century Fox und damit die Rechte an der Verwertung des Mutierten-Franchise, und legte das neueste Spin-off erst einmal auf Eis. Nach mehrjähriger Quarantäne, verlängert durch die Corona-Pandemie, kommen die mutierten Teens nun endlich in die Kinos.

Wie ordentliches Fernsehen

Dabei hätte der Film sich gut eingefügt ins Streaming-Programm des Studio-Giganten, wirkt er doch wie eine ordentlich gemachte TV-Episode, was angesichts der Televisionierung des Kinos nach Anleitung der Avengers keineswegs negativ auffällt.

20th Century Studios

New Mutants hat noch dazu den Charakter einer "Flaschenepisode": Im TV-Jargon eine Serienfolge mit reduziertem Cast und Setting, kleindimensionierter Story und sparsam eingesetzten Effekten. Passenderweise ist der Film besetzt mit lauter Fernsehstars, darunter Maisie Williams (Game of Thrones) und Charlie Heaton (Stranger Things). Sie werden von einer Aufseherin (Alice Braga) in einer ominösen Einrichtung beäugt, die nur sehr entfernt ans "Institut für begabte Jugendliche" aus der Originalreihe, dafür mehr an ein verlassenes Sanatorium erinnert.

Die Handvoll eingesperrten Insassen sind rigider Kontrolle und Überwachung unterworfen, CCTV-Kameras registrieren sämtliche ihrer Regungen. Gruppentherapeutisch ausgeübter Geständniszwang wird hier luziderweise übersetzt in postautoritäres Kontrollgebaren. Und noch das intimste Geheimnis, Objekt totaler Durchleuchtung, wird eingespeist ins datensammelwütige System.

Deckmantel Fürsorge

Die Einrichtung verfolgt oberflächlich gesehen und unter dem Deckmantel von Fürsorge und Sicherheit den Zweck, den Teens beizubringen, mit Gewalterfahrungen und Traumata umzugehen und dabei ihre Kräfte und Affekte zu kanalisieren. Der Mutationsstart wird explizit als einsetzende Pubertät auf den Begriff gebracht: Mutieren heißt Erwachsenwerden, und das vor allem für marginalisierte Misfits. Der zarte Beginn einer lesbischen Beziehung rund um die Hauptfigur, eine Native American (Blu Hunt), ist eines der emotionalen Zentren des Films. Damit geht Regisseur Josh Boone so behutsam um wie mit der psychischen Erfahrungswelt aller Neo Heroes hier. Neben aufkeimender (Homo-)Sexualität beleuchtet er Suizidversuche, Selbstverletzung und Vergewaltigungsvergangenheit, ohne die Themen arg zu sensationalisieren.

Auf der einen Seite ist New Mutants ein Teenage Angst-Drama, auf der anderen Spukhaushorror: Wie in Nightmare on Elm Street materialisieren sich die Ängste der mutierten Traum(a)-Kriegerinnen und -Krieger, die es mit grauslichen Dämonengestalten, Asche-Wandlern und einem gigantischen Monsterbären aufnehmen.

Jeder Teil ein Genre

Die Zukunft der Super-Teens bleibt offen: Wird es nun etwas mit der geplanten Trilogie, wovon jeder Teil einem eigenen Horror-Subgenre gewidmet gewesen wäre? Die halbwegs guten Box-Office-Zahlen deuten – im Gegensatz zu den fast durchwegs desaströsen Kritiken – auf ein Ja hin. Keine schlechte Sache für den, nach Logan, besten X-Men-Film seit langem. (David Auer, 16.9.2020)