Wohin soll man Krankenhäuser und Schulen bauen? Und wie die Altenbetreuung organisieren?

Foto: APA / Ingrid Kornberger

Entscheidungsträger von Städten sind permanent mit Fragen langfristiger Tragweite konfrontiert. Wohin soll man Krankenhäuser, Schulen oder Kindergarten bauen? Und wie viele? Benötigt man in einem bestimmten Zeitrahmen mehr Ressourcen in der Altenpflege?

Wie wird sich der Verkehr entwickeln? Da man die Zukunft bekanntlich nicht vorhersehen kann, behilft man sich meist mit klassischer Statistik. Doch vielleicht lässt sich mit Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) präziser vorhersagen, wie sich die Bevölkerungsstruktur im Stadtgebiet entwickeln wird?

Ein Team um Wolfgang Granigg, Leiter der Studiengänge Business in Emerging Markets und Data and Information Science an der FH Joanneum, prüft derzeit in einem Forschungsprojekt verschiedene Ansätze aus der KI daraufhin, wie gut sie sich für derartige Prognosen im Fall von Graz eignen. Das Projekt ist Teil des vom Digitalisierungsministerium geförderten Rahmenprogramms Big Data Analytics & Artificial Intelligence Research Center, kurz: FIT4BA.

Ein Projektpartner ist die Stadt Graz, welche die – natürlich anonymisierten – statistischen Bevölkerungsdaten zur Verfügung stellt. Die Stadt ist dabei vor allem an zwei Kenngrößen interessiert: an der Altersstruktur und an der Bevölkerungsdichte in den 17 Grazer Bezirken. Am Ende des Projekts soll sie ein fertiges Modell erhalten, mit dem die Verantwortlichen auf Grundlage aktualisierter Monatsdaten bis zu 20 Jahre in die Zukunft modellieren können, wie viele Menschen in welchem Bezirk wohnen.

Retrospektive Prognose

"Traditionell bedient man sich bei der Vorhersage von Bevölkerungsentwicklungen statistischer Methoden", erklärt Granigg. "Wir möchten herausfinden, ob modernere Verfahren zu plausibleren Ergebnissen führen und vielleicht interessante Muster in den Daten freilegen." Zu den betrachteten Methoden gehören die mathematische Modellierung mittels Differenzialgleichungen, sogenannte Markow-Ketten, der Einsatz künstlicher neuronaler Netze sowie die agentenbasierte Simulation.

Doch wie lässt sich verifizieren, ob ein Modell wirklich gut ist? Um die Qualität einer Prognosemethode zu testen, behilft man sich eines simplen Tricks. Man wendet die Methode auf Daten aus der Vergangenheit an und prognostiziert damit, quasi retrospektiv, Daten einer anderen bereits vergangenen Periode.

So kann man beispielsweise auf Basis der Bevölkerungsdaten von 2000 bis 2010 ein Prognosemodell erstellen und dieses zur Vorhersage der Entwicklung von 2010 bis 2015 verwenden. Da diese Entwicklung bereits bekannt ist, zeigt sich unmittelbar, wie treffsicher das Modell ist.

Welche Methode sich letztlich als die erfolgreichste erweisen wird, ist für Granigg derzeit noch nicht absehbar. Entscheidend sei jedenfalls nicht nur, dass die Vorhersage möglichst präzise ist. Genauso wichtig ist die Transparenz. "Statistische Analysen sind eine Art Black Box", so Granigg. "Man steckt vorn etwas hinein und bekommt hinten etwas heraus. Aber wie das Ergebnis genau zustande kommt, erkennt man nicht."

Virtuelle Personen

Anhand der agentenbasierten Simulation lässt sich intuitiv zeigen, was mit der gewünschten Transparenz gemeint ist. Dabei werden im Rechner voneinander unabhängige, virtuelle Personen definiert, im Fall von Graz etwa knapp 300.000. Jede dieser Einheiten hat außerdem mehrere Eigenschaften, beispielsweise Alter, Wohnbezirk oder Geschlecht.

Dann definiert man gewisse Regeln, wie sich die virtuellen Personen im Zeitverlauf verhalten sollen. Beispielsweise kann man vorgeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit jemand in einen anderen Bezirk zieht, und lässt das Modell rechnen.

Das Resultat ist eine schrittweise Entwicklung der Gesamtbevölkerung. Da man jede virtuelle Person einzeln oder auch zu Gruppen zusammengefasst auf der Mikroebene betrachten kann, lassen sich Ursachen für das Makroverhalten der Gesamtbevölkerung identifizieren. Man erkennt also nicht einfach bloß, wie viele Menschen zu einem gegebenen künftigen Zeitpunkt wahrscheinlich in welchem Bezirk leben werden. Man sieht auch den Einfluss von Faktoren wie Zuzug und Wegzug, von Geburten und Sterbefällen.

Ein weiterer Vorteil: Man kann Hypothesen aufstellen und prüfen, indem man einfach die Regeln entsprechend umprogrammiert. "Mit diesem Ansatz können wir tief in die Dynamik der Bevölkerungsentwicklung hineinsehen", sagt Granigg. "Wir wollen nicht nur das Ergebnis der Dynamik sehen, sondern auch die Dynamik selbst verstehen." (Raimund Lang, 22.9.2020)