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Boris Johnson mit vertrauten Tönen im Parlament.

Foto: Reuters

Boris Johnson setzt seinen harten Kurs beim Brexit fort. Der britische Premierminister warf der EU "Erpressung" vor, als er sein umstrittenes Binnenmarktgesetz im Unterhaus vorstellte. Das Gesetz sieht vor, dass britischen Ministern einseitig die Deutungshoheit bei gewissen, Nordirland betreffenden Aspekten des EU-Austrittsvertrages eingeräumt wird.

Da dies einen klaren Bruch des Völkerrechts darstellt, hatten eine Reihe von Tories – darunter fünf ehemalige Vorsitzende der Konservativen Partei wie John Major oder David Cameron – Einspruch eingelegt. Allerdings fiel die Rebellion bei der Abstimmung im Unterhaus zunächst verhalten aus. Das Gesetz wurde mit 77 Stimmen Mehrheit in zweiter Lesung angenommen. Es geht jetzt in die Ausschüsse, bevor in der nächsten Woche eine wichtige Abstimmung ansteht, in der Zusatzanträge verhindern sollen, dass Großbritannien internationales Recht verletzt.

Das Binnenmarktgesetz soll den Handel und Warenverkehr innerhalb der vier Nationen des Vereinigten Königreichs nach Ende der Übergangsphase Anfang des nächsten Jahres regeln. Der Austrittsvertrag hatte in einem Zusatzprotokoll eine Sonderregelung für Nordirland vorgesehen: Um zu verhindern, dass eine harte Grenze zwischen der britischen Provinz und Irland entsteht, soll Nordirland sowohl im EU-Binnenmarkt als auch im britischen Binnenmarkt bleiben. Das bedingt, dass die Grenze in der Irischen See verläuft und Kontrollen für den Ex- und Import dort erfolgen.

Gegen "fremde Mächte"

Jetzt will Boris Johnson mit seinem Binnenmarktgesetz die Nordirland betreffenden Passagen des Austrittsvertrages aushebeln. In typischer Manier mischte Johnson bei seiner Vorstellung im Unterhaus Jovialität mit chauvinistischen Tönen. Es dürfe nicht sein, tönte er, dass "die Grenzen unseres Landes von einer fremden Macht oder einer internationalen Organisation diktiert werden". Deswegen müsse man, "die territoriale Integrität des Landes schützen". Die EU weigere sich, "den Revolver vom Verhandlungstisch zu nehmen" und drohe mit einer Lebensmittelblockade für Nordirland. Er bestätigte, dass das Gesetz das Völkerrecht brechen würde, weil es britischen Ministern unilateral Vollmachten gebe, und er verstehe das Unbehagen darüber. Scheinbar versöhnlich sagte er: "Ich habe absolut kein Verlangen, diese Maßnahmen anzuwenden. Sie sind eine Versicherungspolice."

Die Opposition warf ihm vor, Großbritannien international in Misskredit zu bringen. "Wir haben einen Leumund für Redlichkeit und dafür, dass wir die Herrschaft des Rechts achten", hielt ihm der Labour-Abgeordnete Ed Miliband vor. "Diese Reputation ist kostbar und sollte beschützt werden. Ich fürchte, sie wird durch dieses Gesetz schwer beschädigt." Auch konservative Abgeordnete gingen mit Johnsons Vorhaben scharf ins Gericht. Der Ex-Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox bezeichnete das Gesetz als "sittenwidrig" und sagte: "Ich kann einfach keine Situation gutheißen, in der wir unser Wort brechen."

30 Enthaltungen, zwei Gegenstimmen

Dennoch gab es am Ende nur zwei Tory-Abgeordnete, die gegen das Gesetz stimmten, während sich 30 enthielten. Man will sein Pulver trocken halten. In der nächsten Woche steht ein Ergänzungsantrag des Konservativen Bob Neill, Vorsitzender des Justizausschusses, zur Abstimmung, der die das Austrittsabkommen aushebelnden Vollmachten britischen Ministern nur nach einem vorherigen parlamentarischen Plazet erteilen will. Auch im Oberhaus hat sich Widerstand artikuliert, nicht zuletzt seitens prominenter konservativer Lords. Johnson geht einmal wieder auf volle Konfrontation. (Jochen Wittmann aus London, 15.9.2020)