Roter Veltliner wird aus den Sorten Neuburger, Zierfandler und Rotgipfler gekreuzt. Mit dem Grünen Veltliner ist die rotbeerige Rebe nicht verwandt.

Foto: Christine Miess

Der Rote Veltliner ist für viele Österreicher eine unbekannte Weintraubensorte. Für Josef Mantler hingegen ist er ein Gradmesser des elterlichen Vertrauens. Als der mit Harry-Potter-Brille und rundem Gesicht jungenhaft wirkende Sprössling vom Weingut Mantlerhof 2016 mit der Arbeit begann, habe Vater Josef senior genau gewusst, wo er dem Sohn auf die Finger schaut.

"Für Papa war die Sache damals klar", erinnert sich Mantler. "Wenn ich das mit dem Roten Veltliner versemmle, hat er das falsche Kind bekommen." Dass es anders gekommen ist, beweist sein Roter Veltliner Ried Reisenthal 2019. Ein aromatischer, harmonischer Weißwein, dessen vierzehn Prozent Alkohol eher einlullen als umhauen.

Mantler ist nicht der Einzige, der sich für diese eher unbekannte Sorte begeistern kann. Zehn Winzer, die gemeinsam die Gruppe "Slow Food Roter Veltliner Donauterrassen" bilden, haben sich an einem regnerischen Spätsommertag im Gut Oberstockstall versammelt. Noch ist der Innenhof sommerlich bepflanzt, zum Schutz der Gäste dienen Sonnen- als Regenschirme.

Slow-Food-Gruppe

Grund des Zusammenkommens ist die Vorstellung der Slow-Food-Presidio-Gruppe Roter Veltliner Donauterrassen. Zu deren Mitgliedern zählen beispielsweise Martin Obenaus, Herbert Schabl und Toni Soellner, der den Roten Veltliner als "Lieblingssorte" bezeichnet. Noch mehr als Konkurrenz herrscht kollegiale Freundschaft, jedenfalls der gelösten Stimmung im zum Verkostungsraum umfunktionierten Speisezimmer des Guts Oberstockstall nach zu urteilen.

Auch Gastgeber Fritz Salomon ist Teil der Slow-Food-Gruppe und präsentiert an diesem Sonntag seinen Roten Veltliner Ried Halterhaus. "Diese lange Zeit in Vergessenheit geratene Sorte ist für mich hochinteressant. Abgesehen von unserer Region findet man sie bis auf wenige Ausnahmen nur im Kamptal und Kremstal. Als wir vor fünf Jahren die ersten Stöcke ausgepflanzt haben, war das für mich im wahrsten Sinn des Wortes unbekanntes Terrain."

Die Geschichte des Roten Veltliners und die des Wagrams sind untrennbar miteinander verwoben.
Foto: Christine Miess

Exotischer Österreicher

So wie Salomon geht es wohl vielen seiner Landsleute. Während der Grüne Veltliner in Österreich so allgegenwärtig ist wie derzeit der Mund-Nasen-Schutz (der zum Weintrinken glücklicherweise abgenommen werden darf), sorgt sein Namensvetter häufig für Schulterzucken.

Nur wenige Restaurants haben ihn im offenen Ausschank, gleichwohl er sich als dankbarer Essensbegleiter erweist. Das mag daran liegen, dass ihn viele Otto Normaltrinker als zu exotisch empfinden, der Vergleich mit einem überreifen Obstkorb ist in manchen Fällen nicht von der Hand zu weisen. Zum anderen aber wohl auch daran, dass viele Winzer lieber gleich die Finger davon lassen.

Zu ungestüm ist die auch Rotmuskateller genannte Sorte im Weingarten, zu viel Fingerspitzengefühl erfordert beispielsweise die Wahl des Lesezeitpunkts. Kein Wunder, ging die Verbreitung bis Ende der Neunziger doch zurück – auch weil viele ursprünglich dem Roten Veltliner vorbehaltenen Flächen nach dem Zweiten Weltkrieg dem Crowdpleaser Grüner Veltliner weichen mussten.

Dass die schon im alten Rom kultivierte Sorte jetzt aus dem Schatten tritt, ist kein Zufall. Je globalisierter und gleichförmiger die Mehrzahl der landwirtschaftlichen Produkte, desto kostbarer erscheint das von der Norm Abweichende. Beobachten lässt sich das am Hype um alte Gemüsesorten, gemäß der plötzlichen Erkenntnis, dass es nicht nur eine Karottenart gibt, sondern rund 300, die noch dazu je nach Standort anders schmecken, wie eine kürzlich im Rahmen des Wiener Kochcampus abgehaltene Verkostung bewies.

Lobgesang auf Regionalität

Beim Wein hat sich der Lobgesang auf Regionalität schon länger durchgesetzt, man spricht in diesem Fall von Terroir. So selbstverständlich, wie sich der Jahrhundertjahrgang 2018 von anderen unterscheidet, so schmeckt auch der burgenländische Blaufränkisch vom Leithaberg anders als jener vom Eisenberg. Mit diesem Wissen kann man dem Endverbraucher auch jene Sorten "zumuten", die nicht zum Standardrepertoire gehören. Vor allem, wenn sie den Charakter einer Region so präzise widerspiegeln wie der autochthone Rote Veltliner.

Zu dessen prägenden Eigenschaften zählt sein enormes Wachtstums-, um nicht zu sagen Wucherpotenzial, das eine Ertragsregulierung obligatorisch macht. Geschieht das nicht, verteilen die Reben ihre Energie auf zu viele Beeren, was zu substanzlosen, austauschbaren und wenig aromatischen Weinen führt. Entgegen der Annahme ist der Rote Veltliner nicht mit dem Grünen Veltliner verwandt, sondern ein natürlicher Kreuzungspartner für die Sorten Neuburger, Zierfandler und Rotgipfler.

Abgesehen davon zählt er gemeinsam mit Traminer und Heunisch zu jenen Leitsorten, die wesentlich zur Ausprägung der europäischen Sortenvielfalt beigetragen haben. Bei richtiger Handhabe werden daraus ausdrucksstarke Weine mit großem Lagerungspotenzial, wie der erstaunlich junggebliebene Rote Veltliner Ried Reisenthal 1979 beweist, dessen rauchiges Aroma an Speck erinnert.

Rote Veltliner, bereit für ihre Verkoster.
Foto: Christine Miess

Noch ein Argument spricht für die steigende Beliebtheit. Im Gegensatz zu einer Diva wie dem Spätburgunder gibt sich der vermutlich aus Norditalien stammende Rote Veltliner auch mit wenig zufrieden, vor allem wenig Wasser. Ein entscheidender Vorteil angesichts des Klimawandels, dessen ganzes Ausmaß wir derzeit nur erahnen können.

Beispiel dafür ist die Lage Wadenthal in Neudegg, in Sichtnähe zum Tullnerfeld. Trotz trockenen Frühjahrs legen die rotbeerigen, sonnenbrandresistenten Trauben ein beachtliches Wachstum an den Tag, ganz ohne künstliche Bewässerung. Auf rund 320 Höhenmetern und kargem Lössboden fühlt sich der Rote Veltliner ausgesprochen wohl. Einige Stunden vor der Verkostung im Gut Oberstockstall wird ein Willkommensglaserl vom Weingut Mehofer Neudeggerhof gereicht.

Parallel dazu berichtet Obmann Hans Czerny vom Grundgedanken der Presidio-Initiative. Diese ist Teil der 1986 in Italien gegründeten Slow-Food-Bewegung, die sich weltweit für eine gute, faire und saubere Landwirtschaft einsetzt. Deren Seitenprojekt Presidio, abgeleitet vom italienischen Wort für Schutzraum, widmet sich der biologischen Vielfalt und Bewahrung alter Sorten, Rassen und Kulturlandschaften. Neun solcher Presidi gibt es in Österreich, darunter das Waldviertler Blondvieh und der Wiener Gemischte Satz. Nun also der Rote Veltliner, der in Österreich weniger als 200 Hektar ausmacht – im ganzen Land sind es etwa 45.000.

Roter Veltliner, du Lieblingskind

Moritz Hausdorf vom Arkadenhof Hausdorf in Neudegg begründet sein Roter-Veltliner-Faible mit dem schönen Satz: "Man darf ruhig mal ein bisschen alternativ sein." Wie alle Mitglieder der Presidio-Gruppe Roter Veltliner Donauterrassen wirtschaftet er biologisch, mit seiner Intuition als wichtigstem Leitfaden. Einige andere Richtlinien, auf die man sich geeinigt hat, sind Handlese, Förderung der Biodiversität im Weingarten, Spontanvergärung oder Vergärung mit eigenen Hefen und der Verzicht auf tierische Schönungsmittel wie Eiklar oder Fischblasenproteine, die aus einem trüben einen klaren Wein machen.

Jedes Gut vermehrt gezielt die besten Rebstöcke, um die Sorte "fit für die Zukunft zu machen". Ganz nebenbei will man deren bislang eher stiefmütterlich behandelte Geschichte erforschen. Hausdorf denkt dabei auch an die Vergangenheit. "Meiner Großmutter zufolge war der Rote Veltliner früher die mit Abstand am weitesten verbreitete Sorte. Kein Wunder, dass sie so stark mit unserer Region verbunden ist."

Auch Obmann Czerny, seines Zeichens seit zwanzig Jahren Demeter-Bauer, hat ein Herz für Niederösterreichs heimlichen Star. "Eine robuste, spätreife Sorte, die manchen Fehler verzeiht. Gleichzeitig spiegelt sie wie kaum eine zweite das Wagram wider."

Am Ende der Verkostung kommt noch mal Jungwinzer Mantler zu Wort. Seinem Vater Sepp ist es zu verdanken, dass einige Rote-Veltliner-Trauben heute dunkelbeeriger und robuster sind als ihre hellbeerigen Vorfahren. Kein Wunder, dass der Sohn mit einigem Erwartungsdruck konfrontiert ist.

"Inzwischen bin ich regelrecht gefangen von dieser Sorte, weil man so wunderbar damit spielen kann. Vielleicht", ergänzt er lachend, "liegt das aber auch daran, dass ich immer nur das zweite Lieblingskind meines Vaters war – nach dem Roten Veltliner." (Eva Biringer, RONDO, 12.10.2020)