Myung-Il Saba Song sammelt Mode und Kunst. Eine besondere Schwäche hat sie für Modedesigner und Künstler, die einen eigenen Standpunkt haben.

Foto: Song

Praterstraße 11 in der Wiener Leopoldstadt. Myung-il Saba-Song sitzt im hinteren Raum ihres Shops Song. Auf dem Tisch des holländischen Designers Piet Hein Eek liegt ein Wälzer in Orange. Der Katalog trägt den Titel I’ll wear it until I’m dead. Er ist das Bekenntnis einer Modesammlerin: Margiela, Dries Van Noten, Walter Van Beirendonck – die gebürtige Südkoreanerin zeigt auf 350 Seiten erstmals ihre gesammelten Modeschätze her.

STANDARD: Wie ist Ihre Modesammlung entstanden?

Myung-Il Saba Song: Ich führe meinen Shop seit 21 Jahren, viele Stücke habe ich gekauft, ohne darüber nachzudenken, ob ich sie loswerde oder nicht. Wenn ich ein Kleidungsstück unbedingt haben will, kaufe ich es immer gleich in doppelter Ausführung. Heute befinden sich in meinem Archiv zwischen 300 und 400 Stücke. Ich bezeichne mich aber ungern als Sammlerin. Ich hatte nie ein Konzept.

STANDARD: Wo lagern Sie die vielen Stücke?

Saba Song: Hinter den Verkaufsräumen meines Shops, zu Hause habe ich keinen Platz. Bevor wir mit dem Buch begonnen haben, habe ich eine Person engagiert, die alles geordnet und dokumentiert hat, vor allem die vielen Stücke von Margiela.

STANDARD: Sie haben eine Schwäche für belgische Designer!

Saba Song: Das hat sich einfach so ergeben, mir ist egal, woher ein Modedesigner kommt. Die belgischen Designer aber mag ich, weil sie echt sind, praktisch denken und keine Attitude haben. Sie sind Individualisten, kein Mainstream, das schätze ich. Ihre Silhouetten sind lockerer als die figurbetonte Mode aus Italien. Weil die Leute so sehr gewöhnt sind an diese Normgrößen und -schnitte, muss ich das immer wieder erklären. Über einen Kamm scheren sollte man die Belgier aber trotzdem nicht: Ein Walter Van Beirendonck tickt komplett anders als ein Dries Van Noten.

STANDARD: Was zeichnet die Belgier sonst noch aus?

Saba Song: Dries Van Noten ist der beste kommerzielle Designer, den ich je kennengelernt habe. Niemand kann mit Prints und Stoffen so gut umgehen wie er. Seine Kleider sind zeitlos, bleiben immer aktuell, das gilt auch für Walter Van Beirendoncks Mode.

STANDARD: Dirk Van Saene haben Sie in den Neunzigerjahren entdeckt. Ist Ihnen der Kontakt zu den Designern wichtig?

Saba Song: Ich muss Modedesigner nicht unbedingt kennenlernen. Dirk Van Saenes Kollektion ist mir damals in Mailand zwischen all den klassischen Sachen sofort aufgefallen. Seine Mode war anders, ich wollte sie sofort bestellen. Im Pariser Showroom habe ich ihn dann kennengelernt, während er gerade eigenhändig den Boden seines Showrooms geputzt hat. Diese Haltung fand ich sehr sympathisch. Dries Van Noten hat die Einkäufer in seinem Showroom immer sehr genau beobachtet. Ich liebe auch den Designer Paul Smith: Jeden Samstag war er in seinem Shop in Nottingham, um nach dem Rechten zu sehen.

STANDARD: Heute fällt es schwer, in der Mode den Überblick zu wahren. Es erscheinen unzählige Kollektionen im Jahr ...

Saba Song: Deswegen interessieren mich viele Designer nicht mehr. Ich mag lieber Leute wie Paul Harnden. Er arbeitet radikal, lässt alles in seiner näheren Umgebung produzieren. Er könnte viel mehr verkaufen, will er aber nicht.

STANDARD: Wieso öffnen Sie Ihr Archiv gerade jetzt?

Saba Song: Ich wollte zu meinem 20. Shop-Jubiläum etwas besonderes machen. 2018 war ich dann zur Eröffnung der Margiela-Retrospektive eingeladen. Als ich in der Ausstellung stand, dachte ich: Ich habe doch noch bessere Stücke! Das Herzstück meiner Sammlung besteht nämlich aus Entwürfen von Margiela und Nicolas Ghesquière für Balenciaga. Ghesquière bekam damals als Designer einen solchen Freiraum, weil Balenciaga mit Taschen Geld gemacht hat. Viele Stücke habe ich für mich behalten.

STANDARD: Erinnern Sie sich an Ihr erstes Stück von Margiela?

Saba Song: Vielleicht nicht das erste, aber eines meiner stärksten Stücke ist ein Oberteil aus der Frühjahrskollektion 1999, das aus einem Fotoprint von einer Schneiderpuppe von Stockmann besteht, dazu gehören ein Paar weiße abgeschnittene Handschuhe.

Myung-Il Saba Song und Dominique Nzeyimana, "I’ll wear it until I’m dead", Lannoo Publishers, 352 Seiten, 69,– Euro
Foto: Lannoo Publishers

STANDARD: Sie haben Ihr Buch "I’ll wear it until I’m dead" genannt. Werden Sie Ihre Stücke wirklich bis zum Umfallen tragen?

Saba Song: Das war meine spontane Antwort auf die Frage meiner Buchautorin, ob ich all die Sachen jemals verkaufen würde. Wenn aber eine Institution oder Privatsammlung an meinem Archiv interessiert sind, bin ich nicht abgeneigt. Es wäre doch viel besser, wenn mehr Leute die Stücke anschauen könnten.

STANDARD: Sie leben seit 1984 in Wien. Hat sich der Geschmack der Österreicher verändert?

Saba Song: Viele Leute wissen gar nicht, was es alles gibt. Kein Wunder, in den Mainstreammedien werden vor allem die gängigen Modeunternehmen gefeatured. Man trägt also entweder bekannte Marken oder aber österreichische Designer. Oft schwingt bei dem Appell, heimische Mode zu tragen, eine politische Message mit. Das finde ich nicht sonderlich offen, die Herkunft von Designern sollte egal sein, Produkt und Qualität müssen stimmen. (Anne Feldkamp, RONDO, 4.11.2020)