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Cidre ist prickelnder Apfelwein, der in der Flasche und durch Zugabe von frischem Süßmost ein zweites Mal fermentiert wird.

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Die Franzosen sind ja bekannt dafür, vergleichsweise unscheinbare Lebensmittel in edle Delikatessen zu verwandeln – und sie in der Folge als solche auch erfolgreich zu vermarkten. Man denke nur an die mehr als bescheidene Schnecke, einst das Arme-Leute-Protein schlechthin, das als "escargot de Bourgogne" Eingang in die Nobelgastronomie fand.

Oder an den Hartkäse aus den Alpen, der anderswo unter dem generischen und ziemlich öden Begriff Bergkäse läuft, in Frankreich aber in dutzenden, nach Rinderrasse, Jahreszeit und Herkunftsalm deklinierten Versionen und unterschiedlichen Namen angeboten wird.

Ähnlich verhält es sich mit Apfelwein, den die Franzosen Cidre nennen. Während diesem in anderen Apfelwein- beziehungsweise Most-affinen Ländern, zu denen ja auch Österreich zählt, der Ruf des ungehobelten Bauerntrunks mit abführender Wirkung anhängt, erhoben ihn die Franzosen zum eleganten und kultivierten Edelgetränk.

Das war allerdings nicht immer so. "Über Jahrhunderte war Cidre auch in Frankreich etwas fürs einfache Volk, das sich Bier und Wein nicht leisten konnte", schreibt die Historikerin Marie Casset, "erst als im 17. Jahrhundert der Cidre bouché erfunden wurde, änderte sich das."

Prickelnder Unterschied

Unter dem Begriff versteht man Apfelwein, der in der Flasche und in der Regel dank der Zugabe von frischem Süßmost ein zweites Mal fermentiert und so für Prickeln im Getränk sorgt. Erst der schäumende und mit einem Champagnerkorken verschlossener Cidre, so die Historikerin weiter, schaffte es auch auf die Tische der Eliten.

Besagte Perlage ist es auch, die den echten französischen Cidre bis heute abhebt vom vergleichsweise ungehobelten und dem Bier viel ähnlicheren britischen Pub-Getränk Cider; sowie vom noch rustikaleren und gänzlich perlenfreien Most in den heimischen Schenken und Heurigen.

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Die nördlichen Regionen Frankreichs, die Bretagne und die Normandie, eignen sich nicht für den Weinanbau ...
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Trotz der Parallelen zum Champagner hatte es der Apfelsprudel im Weinland Frankreich nicht immer leicht. Vor allem im Laufe des 20. Jahrhunderts, als sich die Weinproduktion zunehmend industrialisierte, verdrängte der nun im ganzen Land erhältliche und leistbare Traubenwein sein Pendant aus Äpfeln.

Dieses überlebte als Begleitgetränk lediglich in den Crêperies, wo es zur namensgebenden Crêpe und zu deren salziger, aus Buchweizenmehl erzeugten Schwester, der Galette, getrunken wird. Beides sind Spezialitäten aus der Bretagne, jener nördlichen und für den Weinbau weitgehend ungeeigneten Region, die gemeinsam mit der angrenzenden Normandie eine der Hochburgen der Cidre-Kultur ist.

Doch gelten die meisten Crêperies mit ihrem folkloristischen Charakter als anspruchslose Billigausspeisungen, vergleichbar in etwa mit den Pizzerien in Italien. Und so wird in vielen von ihnen preislich günstiger, häufig gezuckerter und bisweilen gewässerter Apfelwein ausgeschenkt, und das oft auch noch in einer "bolée", wie man die traditionelle bretonische Trinkschüssel aus Keramik nennt, die einem Getränk mit Ambitionen zum Begleiter edler Speisen wohl kaum gerecht wird.

Hipster-Getränk

Doch seit kurzem ist alles anders. Surfend auf der Welle der Craft-Biere und der sogenannten Naturweine, erobert sich der Apfelwein sowohl in der Spitzen- als auch in der Szene-Gastronomie seinen Platz zurück. Zumindest in Frankreich sind junge Cidre-Erzeuger gerade dabei, das bäuerliche und naturbelassene Image des handwerklich erzeugten Apfelweins zu nutzen, um ihn, wie zuvor die Kleinbrauer und Bio-Winzer ihre eigenen Produkte, als Hipster-Getränk zu etablieren.

Dazu beigetragen hat nicht zuletzt der Gastwirt und Unternehmer Bertrand Larcher. Mit seinem Lokal-Konzept Breizh Café (Breizh ist der bretonische Name der Bretagne) hat der gebürtige Bretone das altbackene und volkstümliche Image, das der Crêperie bis dato anhing, gehörig aufpoliert.

In seinen Crêpes und Galettes werden ausschließlich ausgewählte Zutaten zu gewagten Kreationen verarbeitet. Wie etwa im Fall seiner bereits legendären Galette mit geräuchertem Hering, Heringsrogen und Crème fraîche.

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... sie sind Cidre-Hochburgen.
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Zudem gibt es in jedem Breizh Café eine Cidre-Bar, in der bis zu 60 Apfelweine aus Frankreich und anderen Ländern angeboten werden. Das Konzept hat durchaus Erfolg. Neben den fünf Filialen allein in Paris und einigen mehr in ganz Frankreich betreibt Larcher auch noch zehn weitere im fernen Japan.

Den engen Rahmen der Crêperie hat der Cidre längst gesprengt. So wird er etwa im wohl angesagtesten Fischrestaurant der französischen Hauptstadt, dem Clamato von Bertrand Grébaut, zu Fisch und Meeresfrüchten gereicht. Und in einigen der laut Guide Michelin besten Restaurants Frankreichs, wie etwa den beiden Pariser Dreisternern Arpège und Epicure, wählt der Gast gar aus einer eigenen Cidre-Karte.

"Wir erleben gerade die Entstehung einer neuen Kultur", meint geradezu euphorisch der Wein-Journalist und Cidre-Spezialist Dominique Hutin, ein gebürtiger Normanne, "eine wachsende Zahl an Cidre-Erzeugern schließt sich zusammen und erstellt Erzeugungsrichtlinien für ihre Getränke, die dem Verbraucher höchste Qualität garantieren."

So existierten inzwischen mehrere Appellations d’Origine Contrôlées, also geschützte Herkunftsbezeichnungen, mit denen sich ausschließlich solche Apfelweine schmücken dürfen, die aus bestimmten Regionen stammen; und die obendrein auf Pasteurisation sowie auf den Zusatz von Hilfsmitteln wie Zucker und Kohlensäure verzichteten, betont Hutin.

Cidre als Essensbegleitung

Aber zu welchen Speisen außer Crêpes und Galettes soll man den angenehm-herben, nach reifem Obst und Holz duftenden und so anregend schäumenden Apfelwein überhaupt trinken? Nun, in dieser schönen Jahreszeit, wenn auch hierzulande sich die Äste unter dem Gewicht der prallen reifen Äpfel biegen, selbstredend zu allem, was mit solchen daherkommt.

Also für Einsteiger in erster Linie zu Naheliegendem wie Apfelstrudel oder Apfelkuchen. Etwas Abenteuerlustige können mit hellem Fleisch von Schwein, Huhn oder Kalb experimentieren. Aber auch zu einer gestandenen Blunzn passt ein trockener Cidre ganz vorzüglich. Vor allem dann, wenn ein Apfelpüree die Wurst begleitet. Spannende Kombinationen verschafft auch gekochtes Rindfleisch (Apfelkren!), gegrilltes allerdings weit weniger.

Dann wären da noch die bereits angesprochenen Meeresfrüchte, im besten Fall in rohem Zustand – wie etwa Austern, deren Saison ja auch gerade beginnt. Doch genauso gut funktionieren Scampi, Fischtatar und Ceviche zu wohlgekühltem Apfelschaumwein.

Manch einer schwört auf Cidre zur komplex gewürzten indischen Küche, die sich bekanntlich nur sehr schwer mit Rot- oder Weißwein kombinieren lässt. Und auch in Verbindung mit einigen Käsesorten überzeugt das herb-frische Getränk – wie etwa im Fall von Camembert, der ja gleichfalls aus der Normandie stammt.

Wenig überraschend passt er auch zu den Stars unter den klassischen herbstlichen Speisen wie Ente und Gans oder geschmortes und gebratenes Wild – weniger ideal zu Gerichten der italienischen Küche, vor allem, wenn diese auf Tomaten basieren. Aber Italien ist sowieso eines der wenigen Länder, das ohne bedeutende Apfelweinkultur auskommt. Zudem sind Tomaten genau wie die italienische Küche doch eher etwas für den Sommer. Und der ist ja nun, da die Äpfel reif sind, langsam vorbei. (Georges Desrues, RONDO, 27.9.2020)