Wien – Diese Tränen bleiben Dominic Thiem erspart. Hätte er irgendwann einmal, in zehn oder 20 Jahren, seine Tenniskarriere Revue passieren lassen, und hätte es den 13. September 2020 nicht gegeben, "hätte ich weinend zurückgeblickt. Es wäre eine tolle, erfolgreiche Zeit gewesen. Aber der große Wurf hätte gefehlt."

"Nach Paris steigt eine Party mit Freunden, da lasse ich es krachen."
Foto: APA/ROBERT JAEGER

Hat er nicht, denn Thiem gewann ja das Finale der US Open gegen den Deutschen Alexander Zverev in fünf hochdramatischen Sätzen. Im Lebenslauf steht nun Grand-Slam-Sieger, mehr hat der Tennissport nicht zu bieten. Wobei es schon eine Steigerung gibt, man kann ja auch viele Grand-Slam-Turniere gewinnen. Und die Position eins in der Weltrangliste wäre auch kein Beinbruch.

Der 27-jährige Dominic Thiem aus Lichtenwörth ist Dienstagvormittag heimgekehrt. Von New York aus ist er via Frankfurt nach Wien geflogen. Um 12.30 Uhr gab er auf der Sportanlage seines Sponsors Unicredit oder auch Bank Austria eine Pressekonferenz. Am Kaiserwasser, der Hudson River kann sich jetzt brausen. Es wurde 13 Uhr.

Wegen Corona wurde die Veranstaltung natürlich im Freien mit Sicherheitsabstand und Fiebermessung abgewickelt. Auf einem Tennisplatz, der Untergrund war Sand, da konnte man sich schon auf die am 27. September beginnenden French Open in Paris einstimmen. Vorbereiten wäre eine Übertreibung. Zumal Thiem in den nächsten Tagen vom Tennis Abstand gewinnen will.

Er rief New York noch einmal ab, 33 Minuten lang hat er das Erlebte besprochen, Fragen beantwortet. Von den vergangenen 50 Stunden hatte er gerade zwei geschlafen. "Ich bin gar nicht aufgewacht, weil ich noch nicht eingeschlafen bin. Ich bin glücklich, wieder auf österreichischem Boden zu sein." Es beginne nun die Zeit des Reflektierens, des Verarbeitens. "Es ist schön, wieder in Freiheit zu sein."

Große Geste

Er erzählte von der New Yorker Blase, von den Sicherheitsvorkehrungen, den Tests, nicht einmal ein Restaurant durfte man besuchen. Physiotherapeut Alex Stober musste sogar Strafe zahlen, weil er im Bus kurz die Maske abgenommen hatte. "Um zu trinken. Dieser Erfolg fand unter extremer mentaler Belastung statt, insofern zählt er fast noch mehr." Zverev habe ihm noch um drei Uhr früh eine Sprachnachricht geschickt. "Eine große Geste, wir sind befreundet. Es wird für mich ein glücklicher Tag sein, wenn er ein Grand-Slam-Turnier gewinnt."

Hätte er, Thiem, den Thriller verloren, "ich weiß nicht, wie es weitergegangen wäre, ob ich ein viertes verlorenes Endspiel verkraftet hätte. Ich habe mir enormen Druck auferlegt. Der ist nun abgefallen. Künftig kann ich mit einer Lockerheit in große Spiele gehen."

Das neue Leben spüre er noch nicht. "Zu müde. Ich muss die Batterien aufladen. Ich freue mich auf meine Familie, meine Freunde. Ich empfinde pures Glück. Durch den Sieg konnte ich den wichtigsten Menschen ein riesiges Stück zurückgeben. Sie mussten Entbehrungen in Kauf nehmen."

"Ich will Botschafter des Tennis sein, die Leute für den Sport begeistern."
Foto: APA/ROBERT JAEGER

Er habe sich übrigens über die TV-Einschaltquoten generell und in Österreich informiert. Weil vor Ort niemand zuschauen durfte. Diese gespenstische Atmosphäre "machte es nicht einfacher. Ich kann die Leidenschaft der Leute nachvollziehen. Wenn man vor dem Fernseher sitzt und mit einem Sportler, von dem man großer Fan ist, mitfiebert, kann das echt grausam sein. Das ist sehr schwer, ich bewundere jeden, der das Finale durchgehalten hat. Ich will Botschafter des Tennis sein, die Leute für den Sport begeistern. Nicht nur die Kinder, alle."

Keine Belohnung

In New York hat er drei Millionen Dollar gewonnen (vor Abzug der Steuern), eine Selbstbelohnung ist nicht vorgesehen. "Daran denke ich nicht, ich spiele für den Erfolg." Wobei es sicher ein Glück sei, "dass ich einen Sport betreibe, in dem viel gezahlt wird". Dass sich die Familie Thiem mit Dominics Ex-Trainer und Ex-Manager Günter Bresnik in einem Rechtsstreit befindet, wurde nicht thematisiert, es ist auch nicht neu, hätte den Tag zudem verdorben.

Von einer vollzogenen Wachablöse wollte der Weltranglistendritte nicht sprechen, Novak Djokovic und Rafael Nadal sind sehr präsent. "In Paris sind sie für mich die Favoriten. Aber irgendwann ist die Nummer eins sicher ein Ziel." In einer Woche fliegt er in die nächste Blase, in jene von Paris. Die Umstellung auf Sand werde kein Problem sein. "Auf diesem Belag bin ich aufgewachsen, ich liebe das Rutschen."

Zunächst sind Spaziergänge mit Hund Hugo angesagt, da kommt man runter vom Berg. Auf der Couch liegen, schlafen, fernsehen, Daumen drehen. "Nach Paris steigt eine Party mit Freunden, da lasse ich es krachen."

Thiem rechnet sich für die French Open gute Chancen aus. "Ich will den Rückenwind mitnehmen." Er weiß, wie eine Blase zu handhaben ist. "Es fühlt sich an wie aus einem Film aus der Zukunft. Jetzt muss es so sein, und es ist auch akzeptabel, wenn es noch eine Zeit lang so bleibt, bis das Virus besiegt ist. Aber dann wäre es schon gut und wichtig, wenn es wieder so wird, wie es vor der Corona-Krise war. Mir fehlt das Menschliche."

In Wien ist er ab 24. Oktober live bei den Erste Bank Open in der Stadthalle zu sehen. Oder auch nicht. Denn es droht eine Veranstaltung ohne Zuschauer. Thiems Marktwert ist laut Manager Herwig Straka deutlich gestiegen. Hund Hugo ist das völlig wurscht. (Christian Hackl, 15.9.2020)