Man stelle sich folgende morgendliche Szene in einem österreichischen Haushalt vor: Berufstätige Mutter, Alleinerzieherin, wacht Dienstagfrüh auf, ihr Wecker hat wie jeden Tag um sechs Uhr früh geläutet. Sie greift zum Handy, informiert sich, was es Neues gibt. Eine Neuigkeit katapultiert sie putzmunter aus dem Bett: Die Corona-Kommission hat Montag, spätabends, die Ampel für Wien und sechs andere Bezirke auf Orange gestellt. Die Frau weiß sofort, was das für ihren Teenager-Sohn heißen muss: Homeschooling für Oberstufenschüler! So war es vom Bildungsministerium zu Schulbeginn angekündigt worden.

Die Frau wird nervös: Ab heute? So kurzfristig? Wie soll das gehen? Die Frau beginnt hektisch zu telefonieren, niemand kann ihr eine klare Auskunft geben. Irgendwann gibt sie auf und schickt den Sohn in die Schule. Mal sehen, was wird. Passiert ist dann eh nichts. Aufregung vertagt, bis zur nächsten Ampelschaltung.

Aufregung vertagt, bis zur nächsten Ampelschaltung.
Foto: APA/dpa/Oliver Berg

So wie der Frau erging es Dienstagfrüh tausenden Eltern. Das berichtete die Sprecherin des Bundesverbands der Elternvereine im Ö1-"Mittagsjournal". Große Verunsicherung allenthalben, bis das Bildungsministerium beruhigte. In den Schulen läuft alles wie gehabt. Die schon für die gelbe Ampelphase getroffenen Sicherheitsvorkehrungen bleiben aufrecht, strenger werden sie nicht.

Orange ist also eigentlich Gelb – zumindest im Schulbereich, aber wahrscheinlich auch sonst überall. Bei Veranstaltungen soll sich erst einmal auch nichts ändern. Jede Landesregierung trifft die Vorkehrungen, die sie für richtig hält. Kein Wunder, dass die satirische "Tagespresse" aufgrund dieses Chaos ohne Methode vorschlägt, statt einer Ampel lieber ein "Corona-Farbspektrum" anzubieten.

Politisches Versagen

Hinter der humorigen Pointe steckt allerdings ein bitterernstes politisches Versagen: Die Regierung ist drauf und dann, die Corona-Ampel bei den Österreicherinnen und Österreichern zu desavouieren. Statt mehr Sicherheit, wie wochenlang angekündigt, führt sie zu noch mehr Unsicherheit. Statt klar abgezirkelter Maßnahmen, je nach Farbgebung im Bezirk, die keine Fragen offenlassen, herrscht allgemeine Verwirrung. So ist die Regierung drauf und dran, ein eigentlich sinnvolles Instrument schon bei seiner Einführung zu ruinieren.

Fragen drängen sich auf: Wenn die Ampelschaltungen allwöchentlich so dilettantisch kommuniziert werden – wie dilettantisch wurde dann erst die gesamte Regelung vorbereitet? Warum gibt es so viele Unklarheiten? Hat sich der Bildungsminister je mit dem Gesundheitsminister abgesprochen? Wie geht das, dass in den Schulen quer über das Bundesgebiet die Farbe Gelb leuchtet, während über einigen Bezirken die Warnstufe Orange prangt? Und was ist passiert, dass immer mehr Landeshauptleute, zu Normalzeiten die Gralshüter des Föderalismus, händeringend um eine bundeseinheitliche Regelung ersuchen?

Die Regierung, Türkis wie Grün, sollte sich den Straßenverkehr zum Vorbild nehmen. Ampeln funktionieren dort, weil sich die Mehrheit der Verkehrsteilnehmer an klare Regeln hält: Bei Grün wird gefahren, bei Rot gehalten – und wer sich bei Gelb über die Kreuzung schwindelt, riskiert eine empfindliche Geldstrafe. Das ist simpel, und es wirkt. Wenn wir dieses Prinzip nicht bei der Corona-Ampel durchsetzen, steht uns ein harter Winter bevor. (Petra Stuiber, 15.9.2020)