Das Naturhistorische Museum Wien hat viel zu bieten: die Venus von Willendorf, die größte und älteste Meteoritenschausammlung der Welt und 39 Schausäle, die von der Entstehung der Welt bis zur heutigen Artenvielfalt alles abdecken. Doch was neben der Ausstellung im Naturhistorischem Museum passiert, ist mindestens genauso spannend, wenn nicht sogar noch interessanter. Zumindest wenn es nach den neun 15- bis 18-jährigen Schülerinnen und Schülern aus der HTL Spengergasse, dem Gymnasium/Realgymnasium Stubenbastei und der Höheren Graphischen Bundeslehranstalt geht. Die Prähistorische Abteilung des Naturhistorischen Museums ermöglichte den wissenschaftlich interessierten Jugendlichen diesen Sommer eine aktive Beteiligung an ihrer Forschung hinter den verschlossenen Türen der Schausäle im Zuge eines Talentepraktikums der Forschungsförderungsgesellschaft.

Leben verleihen

In den insgesamt zehn Forschungsabteilungen betreiben etwa 60 Wissenschafterinnen und Wissenschafter aktuelle Grundlagenforschung in den verschiedenen Gebieten der Erd-, Bio- und Humanwissenschaften. Die Prähistorische Abteilung beschäftigt sich mit der Erforschung der Urgeschichte. Dabei wird versucht, die Geschichte der Menschen anhand ihrer Hinterlassenschaften zu erforschen und die darüber gewonnen Erkenntnisse zu vermitteln. Ein besonders spannendes Feld ist die Textilforschung, die es ermöglicht, die Gewänder der prähistorischen Menschen zu rekonstruieren. Nichts verleiht einem Skelett so viel Leben wie die Vorstellung der Kleidung, mit der die Person bestattet wurde. Auf einmal wird aus der Gesichtslosen aus einem Grab aus Hallstatt um 600 v. Chr. eine reiche Frau, die nicht zu übersehen oder überhören war, denn ihr prächtiger, goldfarben schimmernder Schmuck machte bei jeder Bewegung ein schepperndes Geräusch.

Die Klapperblechfibel aus Hallstatt (circa 700 v. Chr.) an einer Rekonstruktion einer eisenzeitlichen Kleidung.
Foto: NHM Wien

Personen, die vor tausenden Jahren lebten, wieder Leben einzuhauchen, das begeisterte auch die jungen Praktikantinnen und Praktikanten. Sie bearbeiteten zwei bekannte Grabbefunde aus Österreich, ein bronzezeitliches Frauengrab aus Franzhausen in Niederösterreich (um 2000 v. Chr.) und ein eisenzeitliches Frauengrab aus dem Gräberfeld Hallstatt (um 600 v. Chr.). Beide Gräber sind gut erforscht, und die Fülle der Forschungsergebnisse eignete sich gut zur Visualisierung der Rekonstruktionen der Frauenkleidungen.

Jugend forscht

Das 4.000 Jahre alte Frauengrab aus dem Gräberfeld Franzhausen wurde in den 1990er-Jahren vom Bundesdenkmalamt ausgegraben. In dem Grab einer sehr reichen Frau, die im Alter zwischen 25 und 30 Jahren verstorben ist, wurden die Überreste besonderer Kleidung entdeckt. Herausstechend dabei ist eine bogenförmige Kopfzierde, in der auch ein Stück Stoff gefunden wurde. Bei der Rekonstruktion der Kleidung fällt auf, dass dieses besondere Gewand mit sehr aufrechter Körperhaltung getragen werden muss und daher einen sehr würdevollen Eindruck vermittelt.

Der zweite Ausgangspunkt war der Fund einer großen prunkvollen Klapperblechfibel aus der Zeit um 600 v. Chr., die im Gräberfeld Hallstatt entdeckt wurde und im Naturhistorischen Museum Wien ausgestellt ist. Eine mögliche hallstattzeitliche Frauenkleidung mit zweipaarig an den Schultern getragenen Fibeln, Glasperlenketten und breitem Blechgürtel wurde von Archäologinnen und Archäologen rekonstruiert, basierend auf Grabfunden, eisenzeitlichen Stoffen aus dem Salzbergwerk Hallstatt und dem Fund eines kompletten eisenzeitlichen Gewandes aus Huldremose in Dänemark. Interessant ist hier, dass dieser Schmuck beim Tragen laute Geräusche macht.

Dabei zeigten die Jugendlichen, was sie alles draufhaben: Von witzigen Stop-Motion-Filmchen über handgezeichnete, bewegte Bilder bis hin zu 3D-Animationen und Spielszenen war alles dabei. Bei der aufwendigen und dabei so schnellen und sicheren Bearbeitung der Daten für die Kurzfilme verschlug es jeder Kollegin und jedem Kollegen in der Abteilung die Sprache. Unglaublich, zu welchen kreativen und qualitativ hochwertigen Animationen die Jugendlichen imstande sind. Mit dem 3D-Programm Maya wurden etwa die bronzezeitliche Kopfzierde von Franzhausen und die eisenzeitliche Klapperblechfibel von Hallstatt virtuell nachmodelliert und die technischen Einzelheiten animiert – eine Arbeit, die mehr als zwei Wochen Zeit in Anspruch nahm. Bei den handgezeichneten Sequenzen mussten am Tablet viele Einzelbilder gezeichnet werden. Eine der Schülerinnen beschrieb den Aufwand so: "Wir zeichnen eine Woche lang 300 Einzelbilder, die zusammengehängt nur zehn Sekunden Film ergeben – einfach nur traurig ..."

Das Setting einer Schülerin für ihre Stop-Motion-Animation mit Miniaturskelett.
Foto: NHM Wien
Selbst originale Darstellungen von Menschen aus der Hallstattzeit wurden von den Schülerinnen und Schülern umgezeichnet und in die Filmsequenzen eingebaut.
Foto: NHM Wien

Kreative Forschungsarbeit

Für die konzipierten Spielszenen wurde nicht nur aus dem Pool der Jugendlichen und ihrer Freundinnen und Freunde selbst geschöpft, sondern auch verschiedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Naturhistorischen Museums Wien und des Kuratoriums Pfahlbauten mit eingebunden – was mehrere launige Vormittage als Resultat hatte. Als Location für die Filmdrehs dienten dabei etwa die Prunktreppe des Naturhistorischen Museums, Bibliotheksräume, aber auch das Planetarium.

Ein besonderes Schmunzeln brachten die Texte zu den Animationen auf die Gesichter der Wissenschafterinnen und Wissenschafter. In Jugendsprache werden im Film die wichtigsten Fakten zu den Fundstücken vermittelt. Da kommt es schon einmal vor, dass das Hallstatt-Maskottchen (eine Ente) in Model-Mama-Manier, à la Heidi Klum, das Outfit ihres Hallstatt-It-Girls anpreist oder, solidarisch mit dem hart arbeitenden Bergwerkvolk, über die Hallstatt-Tussi herzieht. Sätze wie "Aha, das ist also die Gucci-Kleidung der Eisenzeit. TEUER, AUFFÄLLIG und UNBRAUCHBAR" vermitteln auf spielerische Art viele Eigenschaften zu der Klapperblechfibel. Es war ein Schmuckstück der Oberschicht. Die Person, die den Schmuck trug, war damit nicht zu übersehen beziehungsweise zu überhören und für schwere Arbeiten im Salzbergwerk denkbar ungeeignet.

Auch bei dem zweiten Grabbefund aus dem Gräberfeld Franzhausen war der Ansatz zur Vermittlung der archäologischen Fachinhalte kreativ gewählt. Die Texte wurden in einer Art Memorial-Stil ausgearbeitet. Angelehnt an Gedenkvideos verstorbener Berühmtheiten wie Amy Winehouse oder Avicii wurde um die Lady Franzhausen getrauert. Dabei haben die Jugendlichen die besonderen Merkmale der Frau hervorgehoben. Sie wurde als eine Modeikone der Bronzezeit in Szene gesetzt, deren Ableben noch heute eine Tragödie für die Modewelt darstellt – selbst nach 4.200 Jahren. Niemand konnte ihr Markenzeichen, den bogenförmigen Kopfschmuck, mit so viel Anmut auf dem Kopf balancieren wie sie. Zum Einsprechen der Texte fehlte am Ende des Praktikums leider die Zeit, darum werden sie als Sprechblasen oder Schriftzüge in den Kurzvideos eingeblendet.

Die Präsentation der Arbeiten zu der Dame aus dem Gräberfeld Franzhausen (circa 2200 v.Chr.) im Naturhistorischen Museum Wien.
Foto: NHM Wien
Die Schülerinnen und Schüler des diesjährigen FFG-Talentepraktikums bei einer Führung vom Depot bis zum Dach des Museum.
Foto: NHM Wien

Die Ergebnisse dieses Projekts wurden Ende August 2020 nicht nur am Naturhistorischen Museum Wien mit einem schwungvollen Vortrag der Jugendlichen präsentiert, sondern auch bei der jährlichen Öffentlichkeitsveranstaltung der Hallstatt-Forschung, bei der "Archäologie am Berg". Die Videos sind auch auf dem Youtube-Kanal des Naturhistorischen Museums Wien frei zugänglich. Das Praktikum war für alle Beteiligten eine spannende und humorvolle Erfahrung. Es wird sicher nicht das letzte FFG-Praktikum sein, das in diesen Räumlichkeiten stattfand. (Helena Seidl da Fonseca, Karina Grömer, 17.9.2020)