Dieser Paarungsakt vor 100 Millionen Jahren wurde noch erfolgreich abgeschlossen – dann jedoch kam das bittere Nachspiel: Das angehende Muttertier wurde von Harz umschlossen.
Illustration: Dinghua Yang

Bernstein aus Myanmar, auch Birmit genannt, hat in der Paläontologie einen sehr guten Ruf. Es handelt sich um fossiles Harz aus einer Fundstätte im Norden des Landes, das fantastische Einblicke in eine 100 Millionen Jahre zurückliegende Vergangenheit gewährt. Das Harz hat seinerzeit alle möglichen Organismen umschlossen und als Bernsteininklusen für die Ewigkeit konserviert.

Neben verschiedenstem Pflanzenmaterial wurden unter anderem schon Insekten, Spinnen, Skorpione, Tausendfüßer und Würmer entdeckt – aber auch Überreste größerer Tiere, etwa Vogelfedern oder Teile von Eidechsen. Während uns die Megafauna ihre versteinerten Knochen hinterlassen hat, gehen Klein- und Kleinstlebewesen nur sehr selten in den Fossilienbefund ein. Bernstein bietet also eine höchst willkommene Ergänzung und erlaubt es, das Ökosystem, das in der Region während der Kreidezeit existierte, in seiner Gesamtheit zu rekonstruieren.

Wertvoller kann eine "Verschmutzung" kaum sein: Der nun gefundene Bernstein enthielt besonders interessante Überreste des kreidezeitlichen Ökosystems.
Foto: He Wang und Xiangdong Zhao

Nun berichtet ein internationales Team von Paläontologen von einem Fund, der selbst im Birmit-Archiv eine Besonderheit darstellt: Es sind (gemessen an der Größe ihres Erzeugers) riesige Spermien, das Überbleibsel eines kreidezeitlichen Paarungsaktes. Und nicht nur das, laut der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München handelt es sich um die ältesten jemals entdeckten Spermien der Welt – doppelt so alt wie Wurmspermien, die bisherigen Rekordhalter. Der Fund wurde im Fachjournal "Proceedings of the Royal Society B" vorgestellt.

Die Spermien stammen laut dem Team um Erstautor He Wang von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften von einem Ostrakoden, wegen des typischen zweiklappigen Panzers auch als Muschelkrebs bezeichnet. Diese Gruppe millimeterkleiner Krebstiere hat sich schon vor einer halben Milliarde Jahre entwickelt und bevölkert noch heute mit zehntausenden verschiedenen Arten die Meere und Binnengewässer der Erde. Die vom Bernstein konservierte Spezies war bislang noch nicht bekannt, sie erhielt die Bezeichnung Myanmarcypris hui.

3D-Rekonstruktion eines männlichen Exemplars von Myanmarcypris hui.
Foto: Renate Matzke-Karasz

Mithilfe von Röntgenmikroskopie wurden 3D-Rekonstruktionen der gefundenen Ostrakoden inklusive der Weichteile und Fortpflanzungsorgane erstellt. "Es war eine überaus seltene Möglichkeit, etwas über die Evolution dieser Organe zu erfahren", sagte die an der Auswertung beteiligte Münchner Geobiologin Renate Matzke-Karasz.

So zeigten sich bei männlichen Exemplaren die charakteristischen muskulösen Spermienpumpen und zwei Penisse, mit denen Muschelkrebsmännchen die Weibchen begatten. Die Spermien selbst wurden aber just im Inneren eines Weibchens gefunden – offenbar hatte gerade erst ein Paarungsakt stattgefunden, ehe das Tier von Harz umschlossen wurde.

In diesem Organ des Weibchens wurden die fadenartigen Spermien zwischengespeichert.
Foto: Renate Matzke-Karasz

Bemerkenswert ist die Größe der Spermien: Sie sind riesig, nämlich um ein Vielfaches länger als die Tiere selbst, wenn man sie entrollt. Das ist im Tierreich nicht einzigartig – manche Fruchtfliegen etwa produzieren ebenfalls Riesenspermien. Dennoch tritt dies viel seltener auf als die "herkömmliche" Variante, nach der winzige Spermien produziert werden, diese dafür aber in großer Zahl.

Evolutionsbiologen interessieren sich daher für die Frage, warum manche Tierarten auf eine andere Strategie verfallen sind und wann diese alternative Fortpflanzungsweise begonnen hat. "Um zu zeigen, dass der Einsatz von Riesenspermien bei der Fortpflanzung keine Extravaganz der Evolution ist, sondern ein dauerhafter Vorteil für das Überleben einer Art sein kann, müssen wir wissen, wann sie zum ersten Mal aufgetreten sind", sagt Matzke-Karas. Dass Muschelkrebse offenbar seit mehr als hundert Millionen Jahren diese Strategie anwenden, zeige deren Erfolg: "Sexuelle Fortpflanzung mit Riesenspermien muss also evolutionär gesehen durchaus vorteilhaft sein." (red, 16.9.2020)