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Im August 2019 hatte Macron Putin noch zu sich auf die Sommerresidenz eingeladen.

Foto: Gerard Julien/Pool via REUTERS

Das Wort klingt nach: Der Giftanschlag auf den russischen Oppositionellen Alexei Nawalny sei ein "Mordversuch", sagte Emmanuel Macron diese Woche am Telefon zu Wladimir Putin. Wer der Täter sei, brauchte er nicht zu sagen: Auch so drang die französische Enttäuschung, ja Erbitterung über das Verhalten des russischen Präsidenten durch. Macron fühlt sich wie ein düpierter Prätendent – und einer, der es hätte wissen müssen.

Denn nicht zum ersten Mal sind die französischen Liebesgrüße nach Moskau ins Leere gelaufen. In Paris pflegte vor allem die Rechte eine geheime Faszination für Putin. Sie geht bis auf Charles de Gaulle zurück, der selbst mit der Sowjetunion lieber ein Auskommen suchte als mit den USA. Nicolas Sarkozy hatte Putin bereits 2011 eine "Partnerschaft" angeboten, die ungesagt auch die Einbindung Deutschlands beinhaltete. Der Plan scheiterte an der russischen Krim-Annexion; der sozialistische Nachfolger François Hollande stoppte die Lieferung von zwei Mistral-Kriegsschiffen an Moskau (sie gingen später an Ägypten) und legte die Beziehung zu Moskau wieder auf Eis.

Mehr Einfluss für Russland-Fraktion

Unter Macron erhielt die – bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende – Russland-Fraktion im Quai d'Orsay, dem französischen Außenministerium, wieder an Einfluss. Auch auf Macron: Vor einem Jahr empfing er Putin demonstrativ in seiner Sommerresidenz Bregançon, da er ihn wegen des amerikanischen Einspruchs nicht zum G7-Gipfel von Biarritz einladen konnte. Der französische Präsident deutete sogar an, Moskaus Verhalten in der Ukraine-Frage könnte auch durch das rigide Verhalten der EU verursacht sein – womit er in erster Linie Deutschland meinte.

Putin nahm die französischen Charmeavancen an der Côte d'Azur lächelnd entgegen – sie in irgendeiner Weise zu erwidern, kam ihm nicht in den Sinn. In diesem Juli lud Macrons Russland-Beauftragter Pierre Vimont die Chefbeamten der russischen Außen- und Verteidigungsminister trotzdem nach Paris ein. Man kam überein, ein bilaterales Treffen der Minister zu organisieren.

Diplomatischer Klartext

Der Anschlag auf Nawalny hat alles über den Haufen geworfen. Das russisch-französische Ministertreffen ist abgesagt. Macron spricht wieder – wie bei seinem ersten Treffen mit Putin 2017 in Versailles – diplomatischen Klartext. Im Quai d'Orsay hat wieder die russlandkritische, eher Nato-freundliche Fraktion das Sagen. Sie warnt seit langem vor der Inbetriebnahme der Gaspipeline Nord Stream 2, auch wenn sie entsprechende US-Sanktionsdrohungen skeptisch aufnimmt. Schließlich ist auch der französische Großkonzern Engie an dem Bauwerk beteiligt.

Der französische Europaminister Clément Beaune bekräftigt die französischen "Reserven" gegenüber Nord Stream 2. Zugleich sucht Macron den Eindruck zu vermeiden, dass die Pipelinefrage Paris und Berlin spalte. Der französische Präsident ist innen- wie außenpolitisch eher isoliert. Je klarer er erkennt, dass aus der "strategischen Partnerschaft" mit Moskau nichts wird, desto mehr liegt ihm an seiner Beziehung zu Berlin. Die ist vielleicht weniger faszinierend, dafür etwas vertrauensvoller.

Deshalb will der französische Präsident auch in Sachen Nord Stream mit Angela Merkel an einem Strick ziehen. Auf keinen Fall will er sie in die Bredouille bringen, indem er ein kategorisches Aus für die Pipeline verlangt. Bei dem EU-Gipfel in einer Woche dürften Merkel und Macron mit einer gemeinsamen, genau abgestimmten Position zu Nord Stream 2 aufwarten. (Stefan Brändle aus Paris, 16.9.2020)