Über allem schwebt momentan der 11. Oktober. An diesem Tag wird in Wien der Gemeinderat neu gewählt. Geht es nach der SPÖ, soll eine der wenigen übriggebliebenen wichtigen roten Hochburgen auf jeden Fall in ihrer Hand bleiben. Die anderen Parteien wollen freilich auch gut abschneiden. Umfragen prophezeien einen Wahlsieg für die SPÖ, auch die ÖVP dürfte starke Zugewinne erzielen.

Wie wichtig den Parteien ihr Abschneiden bei den Wahlen in der Bundeshauptstadt ist, merkt man auch daran, dass selbst bundespolitische Entscheidungen derzeit oft so gefällt werden, dass man den Eindruck gewinnen kann, sie sollen zur Stimmenmaximierung in Wien beitragen.

Beispiel Corona-Krise: In den vergangenen Tagen war auffällig, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) stets darauf hinwies, wie besonders bedrohlich die Situation in Wien sei. Es schwang dabei mit: Die Wiener Verantwortlichen haben die Zügel nicht fest genug in der Hand. Ein Blick auf die Einfärbung der Bezirke auf der Österreichkarte nach den aktuell gültigen Ampelfarben zeigt aber, dass auch im Westen orange Gebiete zu finden sind: in Kufstein, Innsbruck, Bludenz und Dornbirn.

Bundeskanzler Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel auf den Wahlplakaten der ÖVP.
Foto: APA/ROBERT JAEGER

Schon im Vorwahlkampf zu Beginn des Sommers gab es stets ein Hinhacken auf Wien. Etwa als Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in Zweifel zog, dass die Stadtregierung das Contact-Tracing mit ausreichender Vehemenz verfolge. Er bot Polizeibeamte an, die die Stadt dabei unterstützen sollten.

Krisen

Nächstes Beispiel: Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), der ja gleichzeitig Spitzenkandidat der Türkisen in Wien ist, geriet in Kritik ob seiner "antieuropäischen Rhetorik" hinsichtlich des Fixkostenzuschusses zur Bewältigung der Corona-Krise. Auch hier liegt der Verdacht nahe: Kritisiert er die Union, weil er um Stimmen der tendenziell EU-feindlichen ehemaligen FPÖ-Wähler feilscht?

Und dann gibt es noch die Diskussion über die Aufnahme von Flüchtlingen: SPÖ, Grüne und Neos in Wien verständigten sich darauf, 100 Kinder aus Moria aufzunehmen. Die Absage kam prompt aus dem Bund. Immerhin wurde ein Maßnahmenpaket für die Direkthilfe in Griechenland geschnürt.

Corona-Krise, Flüchtlingskrise, Wirtschaftskrise, natürlich auch Klimakrise: Es ist verständlich, wenn in einer Zeit der vielen Krisen diese Themen auch in Wien an vorderster Front diskutiert werden. Schon länger wird nicht mehr über die autofreie Innenstadt gesprochen, noch zu Beginn des Sommers eines der zentralen Themen in Wien.

Vielmehr geht es jetzt darum, Antworten auf die großen Fragen zu geben. Aber ist das nicht eigentlich eine Themenverfehlung im Wahlkampf? Sollten sich die in der Bundeshauptstadt antretenden Parteien nicht vielmehr den Kopf darüber zerbrechen, wie sie vor Ort gestalten können und was sie hier zur Verbesserung beitragen können? Manchmal sehnt man sich nach greifbareren Themen: Wie steht es um die Ausstattung der Wiener Schulen? Wird die Infrastruktur den Zukunftsanforderungen angepasst? Bleibt Wohnen in der Bundeshauptstadt leistbar? Tut die Stadt genug für Arbeitslose?

Aber nein, Bundesthemen dominieren den Wien-Wahlkampf. Lokale Lösungsvorschläge, die man tatsächlich umsetzen kann, kommen derzeit leider zu kurz. (Rosa Winkler-Hermaden, 16.9.2020)