"Wir müssen uns gegenseitig raushelfen aus der Krise", sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im EU-Parlament.

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Es war ihre erste Rede zur Lage der Europäischen Union. Und nicht nur deshalb waren die Erwartungen sehr hoch, als Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch im EU-Parlament in Brüssel ans Rednerpult trat.

Seit Tagen spitzt sich in einigen EU-Staaten die Lage wegen des Anstiegs von registrierten Corona-Neuinfektionen zu, werden Städte und Regionen zu "Risikozonen" erklärt. Die Angst vor einem zweiten Lockdown in Europa geht um. Große Reden an die Nation nach dem Vorbild von US-Präsidenten sollen den Bürgern Mut machen, den Blick auf das große Ganze öffnen.

Vage Vorschläge

Seit von der Leyen mit ihrem Team am 1. Dezember 2019 das Amt angetreten hatte, war kaum Zeit, den verkündeten "Aufbruch" umzusetzen. Sie wollte mit dem Green Deal neue Maßstäbe setzen. Aber Corona-Pandemie und Wirtschaftseinbruch machten alle Pläne zunichte. Umso überraschender war, dass von der Leyen in der Rede kaum darauf einging, wie sie das Durcheinander der EU-Staaten bei Pandemiemaßnahmen auflösen wolle. Sie kündigte Vorschläge zur Bildung einer "Gesundheitsunion" an, ebenso zu offenen Grenzen gemäß dem Schengenvertrag.

Und sie lobte eingangs die Bürger, die "verborgene Stärke des menschlichen Geistes", die die Notsituation mutig bewältigt hätten. Corona habe "die Zerbrechlichkeit von uns enthüllt", auch die der ganzen Welt, der Wirtschaft, des Klimas, der Arbeitswelt. Es habe sich gezeigt, dass man zusammenarbeiten müsse, in der Gesellschaft wie global in den multinationalen Institutionen wir WHO und WTO.

Ganz ins Zentrum rückte sie den im Juli beschlossenen Wiederaufbaufonds und ihr Hauptanliegen, den fundamentalen Umbau des Wirtschaftslebens durch Klimaschutz und Digitalisierung. Der Fonds fettet das reguläre Budget der Kommission bis 2027 in bisher ungeahnte Höhen von 1850 Milliarden Euro auf, fast eine Verdoppelung, schafft so handfeste "Chancen für die Zukunft". Dazu will die Kommission die Klimaziele bis 2030 verschärfen: Bis dahin sollen die Treibhausgase um 55 Prozent (statt bisher 40) gesenkt werden. Die Folge wären laut der Präsidentin enorme Investitionen, die wiederum Millionen von Arbeitsplätzen schaffen würden, sei es bei der Entwicklung neuer Energieformen oder dem Umbau der Häuser. Ein Drittel aller EU-Mittel sollten dem Klimaschutz gewidmet sein. 20 Prozent des Budgets soll in den zweiten großen Investitionsbereich, die Digitalisierung, fließen, vor allem in Infrastrukturen.

Neue Migrationsregeln

In einem Round-up über alle EU-Politiken kündigte von der Leyen für nächste Woche ein neues Migrationspaket an. Es soll im Bereich Asyl die Dublin-Regeln ersetzen, ein "europäisches System der Migrationssteuerung" bringen, mit einem "starken Solidaritätsmechanismus". (Thomas Mayer, 16.9.2020)