Nicolás Maduro bei einer Kabinettssitzung am 13. September. Seine Regierung weist die Anschuldigungen des UN-Berichts zurück.

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Caracas/Genf – Venezuelas Präsident Nicolás Maduro ist aus Sicht der Vereinten Nationen wohl persönlich für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich. Eine UN-Untersuchungskommission hat nach eigenen Angaben zahlreiche Anhaltspunkte dafür gefunden, dass der autoritär regierende Maduro und seine Minister seit 2014 Menschenrechtsverletzungen geplant und ausgeführt haben.

Dazu zählen laut dem Bericht willkürliche Tötungen und der systematische Gebrauch der Folter. "Weit entfernt davon, isolierte Akte gewesen zu sein, waren diese Verbrechen im Einklang mit der staatlichen Politik, begangen mit dem Wissen oder der direkten Hilfe von Offizieren und hohen Regierungsbeamten", sagte Kommissionschefin Marta Valiñas am Mittwoch.

Außenminister sieht "Unwahrheiten"

Auch Maduro, sein Innen- und sein Verteidigungsminister seien daran beteiligt gewesen. "Sie gaben Befehle, koordinierten die Aktionen und stellten Mittel zur Förderung der Pläne und der Politik zur Verfügung, unter denen die Verbrechen begangen wurden."

Venezuelas Regierung wies die Anschuldigungen zurück. Außenminister Jorge Arreaza bezeichnete den Bericht in sozialen Netzwerken als "von Unwahrheiten durchsetzt" und "von einer Phantommission erarbeitet". "Er veranschaulicht die perverse Praxis, mit den Menschenrechten Politik und nicht Menschenrechtspolitik zu machen", schrieb Arreaza auf Twitter.

Guaidó will Militär zum Seitenwechsel bewegen

Der Oppositionsführer und selbsternannte Übergangspräsident Juan Guaidó hatte auf Twitter geschrieben: "Der UN-Bericht lässt keinen Zweifel: Maduro ist ein Verbrecher, der nicht nur Drogenhandel und Terrorismus unterstützt, sondern auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht." Die Menschenrechtsorganisation Provea erklärte, dass die Verantwortlichen nun zur Rechenschaft gezogen werden müssten.

Guaidó nutzte zudem die Gelegenheit, die Streitkräfte dazu aufzurufen, sich den Regierungsgegnern anzuschließen. "Das Militär unterstützt einen Kriminellen. Es muss jetzt entscheiden, auf welcher Seite es stehen will", sagte Guaidó am Mittwoch. In einer Ansprache appellierte er: "Seid keine Komplizen."

400-seitiger Report

Das vom UN-Menschenrechtsrat 2019 eingesetzte Gremium untersuchte 223 Fälle, von denen 48 in dem mehr als 400-seitigen Bericht im Detail geschildert werden. Außerdem habe man fast 2.900 Fälle auf ähnliche Muster von Gewalt und Verbrechen analysiert. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag solle sich im Interesse der Opfer bald mit den Vorwürfen befassen. Einen Vorstoß zur gerichtlichen Untersuchung des Verdachts hatten 2018 bereits sechs amerikanische Staaten unternommen.

Selbst vorsichtige Schätzungen gingen davon aus, dass Venezuela eines der Länder in Südamerika mit der höchsten Zahl an Tötungen durch Sicherheitskräfte sei, so die UN. Davon seien tausende dokumentiert, auch wenn das Vorgehen nicht in jedem Fall willkürlich gewesen sei.

Willkürliche Inhaftierungen, außergerichtliche Hinrichtungen

Laut UN führten Operationen, die angeblich zur Verbrechensbekämpfung eingerichtet wurden, 2015 bis 2017 zu willkürlichen Inhaftierungen und außergerichtlichen Hinrichtungen. Die Mission untersuchte oder überprüfte 140 Operationen, bei denen 413 Menschen getötet und manchmal aus nächster Nähe erschossen wurden. Unter Berufung auf Offizielle berichtet die Kommission, dass es weitverbreitete Praxis gewesen sei, als Vorwand eine Konfrontation zu simulieren. In Trainingsvideos seien Einsatzkräfte aufgerufen worden, Kriminelle ohne jedes Mitleid zu töten.

Auch Zivilisten seien getötet worden. Im Oktober 2016 etwa seien 35 Männer willkürlich verhaftet worden. Einige seien verschwunden, andere gefoltert worden. Zwölf Opfer seien ohne jegliches Verfahren hingerichtet und in einem Massengrab verscharrt worden. Die meisten Täter müssten keine rechtliche Verfolgung befürchten. "Die außergerichtlichen Hinrichtungen sind nicht einfach Folge einer Disziplinlosigkeit der Sicherheitskräfte", heißt es. Vielmehr erschienen die Taten als Teil einer Politik, die sich unerwünschter Mitglieder der Gesellschaft entledigen wolle.

Das einst reiche Venezuela steckt in einer schweren wirtschaftlichen und politischen Krise. Guaidó hatte sich Anfang vergangenen Jahres selbst zum Interimspräsidenten erklärt und war von zahlreichen Ländern – darunter die USA und Österreich – anerkannt worden. Allerdings gelang es ihm nie, sich in Venezuela selbst durchzusetzen. Maduro wird in dem Machtkampf vor allem vom mächtigen Militär gestützt. (APA, red, 17.9.2020)