Sarah Paulson spielt in der Netflix-Serie "Ratched" die Titelrolle.

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Psychiatriepatienten mussten in den 1940er-Jahren für spezielle Therapieversuche herhalten.

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Sharon Stone hat es auf den Chefpsychiater abgesehen. Das verheißt nichts Gutes.

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Cynthia Nixon zieht im Hintergrund die Fäden.

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Psychische "Störungen" wie Lesbentum sollten mit Hitzebehandlungen ausgetrieben werden. Es war pure Folter.

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Es gibt böse Menschen, und es gibt Mildred Ratched. In "Einer flog über das Kuckucksnest" führte die gnadenlose Oberschwester 1975 die psychiatrische Abteilung eines Hospitals in Oregon mit starrem Blick und sadistischer Härte. Sowohl Louise Fletcher als auch Jack Nicholson wurden für ihren maximalen Einsatz mit Oscars ausgezeichnet. Mildred Ratched gilt seither als Ikone des Bösen. Laut American Film Institute liegt sie auf Platz fünf der besten Schurken aller Zeiten, nur Hannibal Lecter ("Das Schweigen der Lämmer"), Norman Bates ("Psycho"), Darth Vader ("Star Wars") und die böse Hexe des Westens ("Der Zauberer von Oz") liegen vor ihr.

Besser geht fast nicht, mag sich Netflix-Chef-Showrunner Ryan Murphy gedacht haben, als er auf die Nurse stieß und beschloss, dieser Figur via Netflix-Serie "Ratched" neues Leben einzuhauchen. Für den Erfinder von "American Horror Story", "Pose" und "Hollywood" drängte sich der Stoff förmlich auf: Eine gruselige Geschichte in ein irres Umfeld zu setzen und ihr die entsprechende schrille Optik zu verleihen, das kann Murphy, das liebt er. Lieblingsdarstellerin Sarah Paulson sagte zu, für weiteren Glamour sorgen Sharon Stone und Cynthia Nixon. Das Prequel "Ratched" ist ab Freitag auf Netflix abrufbar und geizt nicht mit prachtvoller Exzentrik.

Leichen pflastern ihren Weg

Wir schreiben das Jahr 1947, der Rückkehr der Nurse geht ein Unwetter voraus, in dem sich ein Massaker an Priestern ereignet, ausgeführt von einem an seiner Kränkung verrückt gewordenem Killer. Kurz darauf betritt Schwester Mildred das Gebäude des kalifornischen Lucia Hospital.

Hieb- und stichfeste Mittel gegen Hysterie

Sie ist nicht irgendeine, das bekam schon der Tankwart ("Sie haben dreckige Fingernägel!") zu spüren. Dass es ihr ernst ist, merkt nun die nicht minder mit Eiseskälte gesegnete, diensthabende Oberschwester Bucket (Judy Davis) plus Chefpsychiater Dr. Hanover (Jon Jon Briones). Dieser ist ein vehementer Befürworter der Lobotomie– einer neurochirurgischen Operation, bei der die Nervenbahnen zwischen Thalamus und Frontallappen durchtrennt werden –, die in früheren Jahren als hieb- und stichfestes Mittel gegen Hysterie angewandt wurde. Ein brutales Verfahren, wie so viele andere, mit denen in der Zeit psychische Krankheiten "behandelt" wurden und wovon wir uns immer wieder Bilder machen können. So auch Therapien, mit denen die "Krankheit" Homosexualität ausgetrieben werden sollte. Die als medizinisch getarnten Methoden waren nichts als pure Folter. Wir wissen längst: Auch diese Anstalt ist kein Ponyhof.

Das Grauen der Schwester ist leise. Sie manipuliert, intrigiert – für uns zunächst ohne Plan. Doch anders als im Film, in dem sie sich anscheinend ohne Grund ihrer "Banalität des Bösen" widmet und einfach ihren Job erledigt, hat sie in der Serie ein triftiges Motiv.

Fortsetzung fix

Wir sollen Ratched also verstehen – das schwächt die Serie. Aber es ist nicht nur das. Bis die Berufseinsteigerin Ratched in die Gänge kommt, dauert es. Die Längen erfordern Geduld – ähnlich wie zuletzt in "Hollywood", einer ebenso kunterbunten Hommage an die besten Jahre des Kinos. Die Figuren agieren einmal mehr in atemberaubender Optik, bleiben trotzdem merkwürdig substanzlos – was sie von ihren Vorbildern des Film noir unterscheidet. Immerhin erfährt man in der ersten Folge, dass Nurse Ratched mit einem Bruder, aber ohne Eltern aufwuchs, also keine leichte Kindheit hatte. Um sich vom Schmerz zu befreien, sei sie geworden, was sie wurde, sagt Ratched.

Der Frage, ob ein derart abgeklatschtes Klischee wahr ist oder ob es sich nicht um eine weitere kleine Biestigkeit der bösen Schwester handelt, wird kaum Platz eingeräumt. Als feministisches Serienstück, wie die Macher es erklärten, lässt sich "Ratched" gleichfalls nur bedingt einordnen: Eine Frau, die auf der Karriereleiter über Leichen geht, ist trotz aller guten Gründe nicht zwingend ein Vorbild. Und dass Ratched Chefs und Machos als ziemliche Deppen dastehen lässt und mit ihren männlichen Patienten nicht lange herumfackelt, mag manchen gefallen. Hingezogen fühlt man sich zu keinem aus dieser verrückten Gang, am ehesten noch zu Lenore Osgood, einer exzentrischen Rachegöttin, gespielt von Sharon Stone ("Basic Instinct").

Was wurde übrigens aus Louise Fletcher, der Original-Ratched? An ihren Oscar-Erfolg von "One Flew Over the Cuckoo's Nest" konnte sie nicht anschließen. Nach Rollen in "Exorzist II", "Firestarter" und "Invaders From Mars" sahen sie Trekkies in den 1990er-Jahren in der Rolle der Kai Winn Adami in "Star Trek: Deep Space Nine". Ebenso einprägsam war sie in einer Nebenrolle in "Shameless" als Mutter von Trunkenbold Frank Gallagher. Ihre eigene Leistung im "Kuckucksnest" anzuerkennen fällt ihr schwer, bekannte sie in einem Interview: Den Film findet sie als "zu schmerzhaft". (Doris Priesching, 18.9.2020)

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