"Jammerfaktor in der Mediendebatte ist unerträglich": Lothar Lockl, Kommunikationsberater und ORF-Stiftungsrat.

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Wien – Für Lothar Lockl, Sprecher der Grünen im obersten ORF-Gremium, ist "der Jammerfaktor in der Medienbranche unerträglich". Lockl kritisierte am Rande des Stiftungsrats am Donnerstag "wahnsinnig lähmende Schrebergartenauseinandersetzungen" unter den österreichischen Medien, die sich doch vielmehr gegen internationale IT-Giganten wie Google/Youtube, Facebook, Amazon und Co verbünden müssten.

Die neue österreichische Digitalsteuer führt auch ORF-Stiftungsräten noch ein bisschen deutlicher vor Augen, wie viel Gewicht Tech-Konzerne auf dem österreichischen Werbemarkt haben, aus dem sich auch österreichische Medien wesentlich finanzieren. Der Sprecher der Grünen im Stiftungsrat etwa nahm das am Donnerstag zum Anlass, seine Appelle für ein Branchenbewusstsein der österreichischen Medien noch etwas nachdrücklicher und emotionaler zu formulieren.

Digitale Werberiesen

Österreichs Werbeabgabe auf klassische Werbung ohne Onlinemedien beträgt fünf Prozent, die seit Jahresbeginn eingehobene Digitalsteuer für Konzerne mit mehr als 750 Millionen Umsatz und mindestens 25 Millionen Euro Online-Werbeumsatz in Österreich ebenfalls fünf Prozent.

Aus den Steuereinnahmen lässt sich das Werbevolumen hochrechnen. Der Nettowerbeumsatz von Google, Facebook und Co in Österreich erreichte demnach in den ersten fünf Monaten schon 60 Prozent des klassischen Werbevolumens. Die großen Digitalkonzerne dürften seit Jahresbeginn rund 965 Millionen Euro in Österreich mit Werbung eingenommen haben; das klassische Nettowerbevolumen lässt sich aus der Werbeabgabe auf 1,620 Milliarden hochrechnen.

"Immer kleiner werdende Krümel wegschnappen"

Aktueller Anlass für Lockls Appell für ein Branchenbewusstsein der österreichischen Medien: Eine Digitalnovelle soll dem ORF online mehr Möglichkeiten einräumen, mit denen er seine Streamingplattform ORF-Player umsetzen will. Die Novelle verzögert sich nun, auch auf Druck privater Mitbewerber – die ebenfalls Forderungen an den Gesetzgeber (und den ORF) haben.

Lockl empfiehlt ein "gemeinsames Auftreten" der österreichischen Medien gegenüber der Politik. Sie müsse dem ORF mehr Möglichkeiten einräumen, um ein junges Publikum zu erreichen, zugleich aber auch private Medien berücksichtigen. Lockl plädiert für "ein Tempo, das alle Akteure mitnimmt".

"Wir brauchen einen Kulturwandel unter den Medienakteuren", erklärt der frühere Grünen-Manager und Wahlkampfmanager von Alexander Van der Bellen. Österreichs Medien aber versuchten einander "immer kleiner werdende Krümel wegzuschnappen", sagt Lockl. "Wir verbrauchen unsere Energie mit Debatten aus dem vorigen Jahrhundert. Der wahre Konkurrent sitzt woanders", verweist der Kommunikationsberater und Stiftungsrat auf Google, Facebook und Co.

Lockl sieht durch die Corona-Krise ein Zeitfenster für medienpolitische Maßnahmen: Sie habe gezeigt, wie wesentlich österreichische Medien seien und wie hoch das Publikum ihre Glaubwürdigkeit bewerte.

Der Werbeboykott großer Unternehmen von Facebook (#Stophateforprofit) zeige das Problembewusstsein der Werbewirtschaft, erklärt Lockl: "Klassische Medien haben ein Angebot, das die IT-Giganten nicht haben." (fid, 17.9.2020)