Sebastian Rudolph in Aktion bei Nicolas Stemanns Interpretation von Goethes "Faust I".

Foto: Zoé Aubry

St. Pölten – Im 15. Jahrhundert wurde die Erde für wesentlich kleiner gehalten, als sie es tatsächlich ist. Als Kolumbus am 12. Oktober 1492 den amerikanischen Kontinent in Form einer der Bahamas-Inseln "entdeckte", glaubte er, in "Indien" (eigentlich China) gelandet zu sein.

Heute beginnen wir zu akzeptieren, dass die Invasion Amerikas zu den ganz großen Tiefpunkten der europäischen Geschichte zählt: Die Massenvernichtung der indigenen Bevölkerungen macht alle Geschichten von Pioniergeist und Entdeckerruhm bedeutungslos.

Miroslav Krležas Stück Christoph Kolumbus, inszeniert von Rene Medvešek als Koproduktion des Landestheaters Niederösterreich mit den vereinigten Bühnen Bozen, führt den Jammer dieses Trugbilds vor. Ab dem 3. Oktober (Premiere, siehe auch im Artikel oben) bietet sich hier eine Gelegenheit zum Vergleich historischer Interpretationen von einst und jetzt.

Zusammen mit dem Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg hat das Landestheater Thomas Manns Zauberberg produziert, die Premiere der Inszenierung von Sara Ostertag ist für den 22. Jänner 2021 geplant.

Vergleich mit der Gesellschaft von heute

Auch hier dräuen die Gefühle der Weltsichten von einst. Allerdings zieht die Wiener Regisseurin Ostertag, die auch Dramaturgin der umjubelten österreichischen Choreografin Florentina Holzinger ist, ihren Frank Castorp samt Umgebung in einen Vergleich mit der verwöhnten Gesellschaft von heute.

Noch im November dieses Jahres (am 27.) gibt es – Sturm und Drang von 1784! – Friedrich Schillers Frühwerk Kabale und Liebe zu sehen, und zwar in der Regie von Stephan Rottkamp: Intrige gegen Liebe mit fatalem Ausgang, ein Protest gegen die Verlogenheit der Elterngeneration. Wenn das nicht gewisse Ähnlichkeiten mit der Gegenwart hat ...

Zu den Gastspielen der kommenden Saison zählt Goethes Faust I des Schauspielhauses Zürich, ein Theaterexperiment von Regisseur Nicolas Stemann als erzählte Geschichte (17. und 18. Dezember). Heute aktueller denn je: das Bild des Gelehrten, der sich die ewige Jugend durch einen Pakt mit dem Teufel erkauft (heute dient Mephistopheles wohl eher Internetgiganten wie Alphabet, Tesla oder Amazon).

Im Februar kommt Thierry Mussets Inszenierung des Julien-Green-Dramas Süden (17. und 18. 2., mit Schauspieler Andreas Lust) als Gastspiel von Les Théâtres de la Ville de Luxembourg nach St. Pölten ans Landestheater. Eine Geschichte aus der Zeit unmittelbar vor dem Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkriegs 1861. Weitere Gastspiele sind Kunst im März oder F. Zawrel und Die Reise der Verlorenen im April kommenden Jahres. (ploe, 18.9.2020)