DJ sein in Stephen Simons Stück "Steilwand": Die Gefühlswelt des Protagonisten Alex gerät aus den Fugen.

Foto: Alexi Pelekanos

Vor 200 Jahren wurde in St. Pölten durch die Initiative der Bevölkerung ein Theater mit festem Standort und Ensemble gegründet. Davor hatten noch wandernde Truppen unterhalten. Trotz politischer und wirtschaftlicher Herausforderungen hielt man an dem eigenen Haus fest.

Nun, im Jubiläumsjahr 2020, denkt das Landestheater Niederösterreich, nicht zuletzt durch die Pandemie, über eine ortsunabhängigere Zukunft nach. Für die neue Saison besinnt man sich deshalb auch auf seine Anfänge, setzt auf die aktive Teilnahme der Bevölkerung und wandert wieder hinaus aus dem Theaterraum.

Alle Bürger können mitspielen

Im Bürgertheater sucht eine Stadt nicht ihren Mörder, sondern will den Gründungsmythos ihres Theaters wiederbeleben – mithilfe von Anekdoten, Briefen, Zeitungskritiken und erfundenen Geschichten. Aufgrund der unterbrochenen Proben ist eine Teilnahme weiterhin für alle Bürger und ohne Altersbeschränkung möglich und die Uraufführung des Laien-Stationentheaters auf Anfang Juni verschoben.

Das Projekt Die beste aller Welten von Schauspielerin Bettina Kerl und Dramaturgin Julia Engelmayer setzte sich bisher in Form von Lesungen und Gesprächen mit den Themen Natur und Ökologie auseinander.

Zukünftig soll das auch theatral geschehen. Seit wenigen Jahren hat der Umweltschutz auch Einzug in den Spielplan genommen. Anvisiert wird beispielsweise eine Aufführung im AKW Zwentendorf.

Aufarbeitung passiert auch im Erinnerungsbüro: Um die jüdische Kultur St. Pöltens ins Gedächtnis zurückzuholen, führt etwa ein Stadtspaziergang mit Kerl zu Stationen jüdischen Lebens vor dem Holocaust. Die Gesprächsrunde Die lange Tafel in Kooperation mit dem Museum Niederösterreich lädt zum Austausch mit Experten und Künstlern nach dem Ausstellungsbesuch.

Mobile Produktion

Ein DJ-Pult und Schauspieler Tim Breyvogel, mehr braucht es nicht, um das Stück Steilwand des britischen Dramatikers Stephen Simons nahezu überall aufzuführen. Die mobile Produktion rund um die Gefühlswelt der Hauptfigur Alex, dessen Glückszustand durch ein plötzliches Ereignis jäh beendet wird, ist eine von mehreren, mit denen das Landestheater unterwegs ist.

Das Jugendstück Demian, eigens dramatisiert von Regisseurin Anna Marboe nach Hermann Hesse ist eine Coming-of-Age-Geschichte über die Entwicklung des zehnjährigen Emil Sinclair hin zum sinn suchenden Erwachsenen. Es gibt eine Vorstellung im Tullner Egon-Schiele-Museum (1. 10.), und Demian kann für Schulen gebucht werden.

Weitere "Klassenzimmertheater" sind die Stücke Gandhi – der schmale Grad von Regisseurin Evy Schubert, die mit Bettina Kerl die Figur Gandhis als politischer Aktivist und deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit hinterfragt.

Oder Wir für immer alle zusammen, inszeniert von Jana Vetten, über die elfjährige Polleke, die sich in ihrer Patchworkfamilie zurechtfinden muss – mit ihrem Klassenlehrer als Stiefvater. Auch die Proben dafür können besucht werden, samt Übernachtung im Theater. Geschlafen wird auf der Bühne, zum Frühstück gibt’s eine Mehlspeis’.

Zu den weiteren Vermittlungsangeboten für Jugendliche zählt der Theaterclub 14+. Er erarbeitet ein Stück aus den Visionen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Thema Geschlechterrollen. Das "Theaterlabor für alle" will Grenzerfahrung und Sprachbarrieren in einem mehrteiligen Workshop erarbeiten, auch ein Besuch der mehrsprachigen Aufführung Christoph Kolumbus gehört dazu.

Werde zu einem Buch

Junge Menschen zwischen 14 und 25 Jahren sowie Schulklassen sind dazu eingeladen, an dem Projekt "Lebendige Bibliothek" teilzunehmen. Als Teil des "Erinnerungsbüros" werden hier Jugendliche in Onlinevideos von Familiengeschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus erzählen.

Für das sehr junge Theaterpublikum ab vier Jahren bietet das Landestheater nicht nur altersgerechte Produktionen, sondern auch begleitende Schnupperworkshops an: Das Städtchen Drumherum (ab vier Jahren) von Mira Lobe beschäftigt sich mit Umweltschutz, der Kinderbuchklassiker Das kleine Gespenst von Otfried Preußler setzt auf die Fantasie von Kindern ab sechs Jahren.

Und wenn Eltern auch wieder Sehnsucht nach dem Theater haben, können Kinder ab vier Jahren im Betreuungsangebot während einer Nachmittagsvorstellung malen, spielen und basteln. (Katharina Stöger, 18.9.2020)