Theaterhäuser und -ausbildungsstätten in ganz Europa haben sich über soziale Medien der Protestbewegung in Budapest angeschlossen.

Screenshot Twitter

Theaterregisseur und Uni-Professor Lászlo Bagossy nimmt die EU in die Pflicht.

Judit Horvath
Foto: Imago

Salman Rushdie, Cate Blanchett, Helen Mirren, Eddie Redmayne und viele Prominente mehr haben – neben Theaterinstitutionen in ganz Europa – in den vergangenen Wochen über den Hashtag #freeSZFE ihre Solidarität mit den Besetzern der Universität für Theater- und Filmkunst (SZFE) in Budapest ausgedrückt. Studierende wehren sich dort gegen die antidemokratische Politik Viktor Orbáns, der im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen der renommierten Universität die Autonomie entzogen hat.

An der SZFE wurden die Protagonisten des heutigen ungarischen Theaters ausgebildet, von Kornél Mundruczó bis Tamás Ascher, von Árpád Schilling bis Viktor Bodó. Mit Septemberbeginn wurde die Universität nun unvermittelt und per Gesetzesbeschluss in eine Stiftung überführt. In deren Gremium sitzen universitätsferne Personen wie Vertreter von Ölkonzernen.

Vorsitzender und zentrale Figur in diesem Prozess ist Attila Vidnyánszky, der zahlreiche hochrangige Posten in sich vereint und so Ungarns Theaterlandschaft kontrolliert. Die Universitätsleitung ist deshalb geschlossen zurückgetreten, darunter auch der Institutsleiter László Bagossy.

STANDARD: Wie ist Ihre berufliche Lage momentan?

Bagossy: Unsere Kündigungsfrist läuft Ende September ab. Danach muss es eine neue Leitung geben. Am Montag bereits tritt eine neue Regelung in Kraft, wonach der Vorsitzende des neu eingesetzten Kuratoriums, Attila Vidnyánszky, die Universitätsleitung persönlich bestimmen können wird. Das ist ein Skandal. Die Vorgänge sind mittlerweile völlig absurd. Wir wollen die Autonomie wieder zurück.

STANDARD: Die Uni-Besetzung läuft seit 1. September. Die Politik zeigt sich unbeeindruckt. Was erwarten Sie?

Bagossy: Wir wissen nicht, was kommen wird. Es wird wahrscheinlich eine "schöne" Überraschung. Denn das nunmehrige Kuratorium hat ja überhaupt keine Ahnung von unserer Tätigkeit hier an der Universität. Sie wissen nichts über die Lehre. Die Politik geht diktatorisch vor. Vidnyánszky dominiert auf Viktor Orbáns Geheiß das gesamte ungarische Theaterleben.

STANDARD: Die SZFE hat prominente Absolventen, darunter Oscar-Preisträger wie Michael Curtiz oder István Szabó. Welche Bedeutung hat sie in Ungarn?

Bagossy: Die SZFE hat eine lange Tradition, sie ist 155 Jahre alt und in Ungarn von großer Bedeutung. Und das, obwohl sie die kleinste Universität des Landes ist, wir haben nur 500 Studentinnen und Studenten. Es ist also ein Kampf zwischen David und Goliath, und wir wissen, die Kleinen gewinnen nur im Märchen. Wenn wir diesen Kampf tatsächlich verlieren, wäre es wichtig, dass europäische Institutionen unsere "Theater-Flüchtlinge" aufnehmen würden. Ildikó Enyedi beispielsweise, eine Filmregisseurin von Weltrang, wird ihre Masterklasse nicht fortsetzen können.

STANDARD: Sie erwarten also einen Exodus der jungen Generation?

Bagossy: Wir haben jetzt schon eine große Emigrationsbewegung, auch nach Österreich, nach Wien und ans Mozarteum Salzburg. Wir wollen aber natürlich in unserem Land arbeiten können und werden dafür kämpfen, solange es geht.

STANDARD: Vonseiten der Politik wird ein nationalistischer Kurs verfolgt. Was beinhaltet der eigentlich?

Bagossy: Das weiß niemand. Es gibt kein Programm. Es ist ein riesiger Bluff! Vidnyánszky hat nie etwas über seine Pläne gesagt. Es gibt nur Lügen und politische Phrasen, eigentlich ist es tragikomisch. Ich weiß nicht, was sie wollen, außer Macht und Kontrolle.

Der ungarische Film- und Theaterregisseur Kornél Mundruczó weist bei den Filmfestspielen in Venedig auf die Protestbewegung hin.
Foto: Imago

STANDARD: Vidnyánszky hat viele Ämter inne und so bereits andere Institutionen demontiert, etwa die Fakultät in Kaposvár, aber ohne dann so etwas wie "nationalistische Reformen" durchzuführen. Warum?

Bagossy: Er glaubt wohl selber nicht daran, dass das klappt. Dafür fehlt ihm auch die Zeit. Er ist mit der Organisation der Macht beschäftigt.

STANDARD: Ist es nicht unverständlich, dass er Terrain erobert, aber dann nichts damit macht?

Bagossy: Das ist das Orbán-Prinzip. Vidnyánszky ist ein Soldat Orbáns. Und es ist für ihn nicht notwendig, hier unbedingt etwas Neues aufzubauen. Es ist eine Machtdemonstration der Europäischen Union gegenüber. Beim EU-Beitritt Ungarns 2004 hätte ich nicht gedacht, dass ich jemals wieder in einer Autokratie leben müsste. Und ich kann einfach nicht glauben, dass die europäische Politik nichts dagegen unternimmt, sondern zusieht, wie die Freiheit beschnitten wird. Es liegt in der Verantwortung der Europäischen Union und nicht in der des ungarischen Volkes.

STANDARD: Was würden Sie erwarten? Sanktionen?

Bagossy: Klar! Es ist ein Skandal, dass die EU das Vorgehen duldet.

STANDARD: Warum ist das Theater für Orbán so wichtig?

Bagossy: Theater ist immer wichtig für die Politik. Es ist ein unkontrollierbarer öffentlicher Raum. Unsere Theaterszene ist stark, und es ist nicht egal, was wir denken und was unsere Positionen sind. Der Autonomieverlust betrifft aber nicht nur das Theater. Der Modellwechsel, dass Institutionen in Stiftungen umgewandelt werden, ist umfassend. Dabei ist das eine Mogelpackung, denn diese sogenannten Stiftungen sind keineswegs privat, sondern sie werden weiterhin staatlich betrieben, und das Ministerium behält die Vollmacht.

STANDARD: Glauben Sie, dass Orbán das Gebäude räumen lassen wird?

Bagossy: Das wäre zu viel schlechte Presse. Andererseits hat er keine Angst, weil die politische Kraft vonseiten der EU fehlt. Ungarn hat die Bologna-Konvention unterzeichnet und verstößt nun dagegen, es ist eine europäische Angelegenheit! Aber die EU tut leider nichts.

STANDARD: Werden Sie die Besetzung weiterführen?

Bagossy: Wir sind schon sehr müde. Revolution ist eine Nonstop-Beschäftigung und körperlich sehr anstrengend. Ich bin jetzt zwar zu Hause, fahre aber gleich wieder hin. (Margarete Affenzeller, 18.9.2020)