Polizistinnen und Polizisten sind dem deutschen Grundgesetz verpflichtet. Wer dies nicht akzeptiere, müsse den Polizeidienst verlassen. Das sagt der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul (CDU).

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Herbert Reul ist das Entsetzen deutlich anzumerken. "Die Dimension und diese Abscheulichkeiten habe ich nicht für möglich gehalten. Diese Menschen haben das Recht verspielt, die Uniform mit dem nordrhein-westfälischen Landeswappen zu tragen", sagt der CDU-Innenminister des größten deutschen Bundeslandes.

"Diese Menschen" – das sind 30 Polizistinnen und Polizisten, die gerade erst suspendiert wurden, nachdem Ermittler ihre Wohnungen und Arbeitsplätze durchsucht hatten. Es fand sich auf Handys "übelste und widerwärtigste Hetze", wie es Reul formuliert.

Auf die Spur kamen Polizisten ihren Kollegen wegen eines anderen Delikts. Ermittelt wurde gegen einen 32-Jährigen wegen Verdacht eines Verrats von Dienstgeheimnissen. Dabei stießen die Beamten auf volksverhetzende Bilder. Der Kontakt führte zu fünf verschiedenen Whatsapp-Gruppen mit derlei Abbildungen. Reul berichtete von Hitler-Bildern, Hakenkreuzen und Reichskriegsfahnen, auch von der "fiktiven Darstellung eines Flüchtlings in der Gaskammer eines Konzentrationslagers" und der "Erschießung von Menschen mit schwarzer Hautfarbe".

Beteiligt haben sich an dem Chat auch Polizistinnen und Polizeikräfte mit Migrationshintergrund. Fast alle von ihnen waren früher auf der Wache in Mühlheim an der Ruhr im Dienst, mittlerweile sind sie auf Dienststellen in ganz Nordrhein-Westfalen verteilt. Einer von ihnen arbeitet im Landeskriminalamt.

Seit 2012

Begonnen hatten die Chats im Jahr 2012. Warum sie acht Jahre lang unentdeckt blieben, kann sich Reul nur so erklären: "Ich glaube, dass zu oft noch Polizisten meinen, sie müssten durch Kameradschaft alles decken." Doch wer so handle, wer schweige, der müsse den Polizeidienst quittieren. Reul musste auch einräumen, dass es sich nicht mehr bloß um Einzelfälle handle. Vielmehr sei zu befürchten, dass sich der Skandal noch ausweiten werde, da man erst am Anfang der Ermittlungen sei: "Wir müssen damit rechnen, dass weitere Fälle dazukommen."

Er appellierte an die Polizistinnen und Polizisten, nicht wegzusehen und zu schweigen: "Ja, ihr müsst zusammenhalten, ihr müsst euch aufeinander verlassen in Notlagen. Aber umgekehrt: Ihr habt alle einen Eid geschworen, euch an die Gesetze und an die Verfassung zu halten. Und wenn ein Kollege das nicht macht, müsst ihr das melden, das ist genauso eure Pflicht."

Der Innenminister hat einen Sonderbeauftragten eingesetzt, den bisherigen Vizechef des Verfassungsschutzes, Uwe Reichel-Offermann. Der sagt, das gefundene Material sei "Hardcore". Es kursiere in der rechten Szene auch nicht viel Schlimmeres. Es habe ihn überrascht, dass kein Polizist in einer der Chat-Gruppen gesagt habe: "Da steige ich aus, da mache ich nicht mehr mit."

Der Kriminologe Tobias Singelnstein fordert anonyme Meldeverfahren für interne Missstände bei der Polizei. "Man kann sich ja nicht vorstellen, dass so ein Netzwerk innerhalb der Polizei niemandem aufgefallen ist", sagte er der Deutschen Presse Agentur.

Doch wenn jemand bei der Polizei etwas bemerke, dann gelte dort der "offizielle Dienstweg". Das "Anschwärzen" von Kollegen werde "nach wie vor nicht goutiert".

Weitere Fälle

Die Fälle in Nordrhein-Westfalen sind nicht die einzigen. In Hessen ist die Polizei auf rechtsextreme Chat-Gruppen bei Ermittlungen um Drohschreiben an Linken-Politikerinnen und eine Anwältin gestoßen. In diesen war von "NSU 2.0." die Rede – offensichtlich eine Anspielung auf den "Nationalsozialistischen Untergrund" um Beate Zschäpe. Diese Terrorgruppe hat in Deutschland zehn Menschen mit Migrationshintergrund ermordet.

In Graz ist gerade erst ein Polizist nicht rechtskräftig zu 15 Monaten bedingter Haft und einer unbedingten Geldstrafe von 1260 Euro verurteilt worden. Er soll wiederholt rassistische, homophobe und frauenfeindliche Äußerungen von sich gegeben haben. Die deutschen Grünen fordern eine Studie über Rassismus bei der Polizei, auch die SPD-Innenminister treten dafür ein. Doch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat sich bisher quergelegt. (Birgit Baumann aus Berlin, 17.9.2020)