Die Wikingerzeit endete laut offizieller Geschichtsschreibung bereits vor knapp einem Jahrtausend. Dennoch sind die Nordländer im kollektiven Bewusstsein erstaunlich präsent. Das hat wohl auch damit zu tun, dass die Wikinger viel populären Fernsehstoff für Jung und Alt hergeben: vom Zeichentrick-Klassiker "Wickie und die starken Männer" bis zu den sechs Netflix-Staffeln von "Vikings".

Derart "südeuropäisch" sah laut den neuen Forschungsergebnissen so mancher Wikinger aus.
Jim Lyngvild

Dieses populärkulturelle Bild – und vor allem jenes, auf das sich so manche "völkische" Ideologen immer wieder gerne beriefen – stimmt freilich nur zum Teil mit jenem überein, das nun Genetiker auf Basis von alter DNA rekonstruieren konnten: Wikinger waren alles andere als ein homogenes Volk blonder und blauäugiger Kämpfer. Vielmehr hat es den Anschein, also ob der Begriff Wikinger eher für eine Berufsbezeichnung bzw. eine kulturelle Identität stand als für eine genetisch halbwegs einheitliche Ethnie. Denn genau das waren die Wikinger nämlich nicht.

Zehnjährige Knochenarbeit

Das ist eines der Hauptergebnisse einer umfangreichen neuen Untersuchung, die diese Woche im Wissenschaftsmagazin "Nature" erschien und an der rund hundert Forscher aus verschiedenen Ländern insgesamt rund zehn Jahre lang gearbeitet haben.

Das Grab einer Wikingerfrau im südschwedischen Varnhem. Aus diesen Knochen konnten Wissenschafter eines der über 400 untersuchten Wikinger-Genome rekonstruieren.
Foto: Västergötlands Museum

Die buchstäbliche Knochenarbeit bestand dabei vor allem darin, alte DNA aus den Gebeinen von hunderten mutmaßlichen Wikingern zu gewinnen, die zwischen etwa 750 und 1050 unserer Zeitrechnung als solche begraben worden sind.

Dem Team um Eske Willerslev (Uni Kopenhagen und Uni Cambridge) gelang es schlussendlich, 442 Genome von Wikingern zu sequenzieren, deren Gräber sich nicht nur in Skandinavien befanden, sondern auch in Italien, der Ukraine oder in Grönland.

Nicht nur skandinavische DNA

Die gefundene DNA war oft genug alles andere als skandinavisch – etwa in Wikingergräbern auf den britischen Orkney-Inseln. Einige in Skandinavien als Wikinger begrabene Menschen hingegen hatten aufgrund ihrer DNA eindeutig irische und schottische Eltern. Oder sie gehörten den Samen an, die den Ostasiaten und Sibiriern genetisch näher stehen als den Europäern.

Ein Wikinger-Massengrab mit rund 50 Skeletten in der Nähe von Dorset in Großbritannien. Einige dieser Überreste konnten für die DNA-Analysen verwendet werden.
Foto: Dorset County Council/Oxford Archaeology

Auch wenn die neuen Analysen zwar nicht die Geschichte der Wikinger umschreiben, so ändern sie doch einiges an unseren Vorstellungen von ihrem Äußeren: Aufgrund der DNA-Analysen wisse man nun sehr viel besser, wie sie wirklich aussahen, sagt Eske Willerslev. So hatten viele Wikinger laut den gewonnenen genetischen Informationen braune oder noch dunklere Haare. Zudem fanden Forscher enge Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Wikingern, die tausende Kilometer voneinander begraben wurden und doch Cousins waren, was wiederum auf eine erstaunliche Mobilität hinweist.

Grundsätzlich falsifiziert die Studie jedenfalls für die Wikinger die Hypothese, dass kulturelle Identität auch mit einer gemeinsamen Abstammung einhergeht – eine Annahme, die heute gern von diversen rechtsextremen Gruppen vertreten wird. Schon die Wikinger waren mithin sehr viel kosmopolitischer als bisher angenommen, was vor allem an ihren extensiven Eroberungsfahrten und Handelsreisen lag.

Spuren in heutigen Europäern

Wie viel dieser genetischen Vermischungen auf Gewalt und Zwang zurückging, konnte die Studie naturgemäß nicht eruieren – wohl aber, wie sehr der Genaustausch in der DNA anderer Europäer bis heute Spuren hinterließ: Der Anteil von skandinavischer Wikinger-DNA bei Briten beträgt nach Analysen der Forscher rund sechs Prozent, bei Kontinentaleuropäern dürfte er je nach Region auch noch einige Prozent ausmachen. (tasch, 18.9.2020)