Christian Ilzer hat bei Sturm Graz einen Dreijahresvertrag unterschrieben.

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Christian Ilzer führte Hartberg 2018 in die Bundesliga und den Wolfsberger AC 2019 in den Europacup. Mit der Austria verpasste er diesen in der vergangenen Saison, nun soll der 42-jährige Oststeirer den "Neustart" von Sturm Graz betreuen. Zum Auftakt gab’s ein 0:0 in St. Pölten, am Samstag (17 Uhr) folgt ein Heimspiel gegen Rapid.

STANDARD: Waren Sie als Kind Sturm-Fan?

Ilzer: Klar. Ich komme aus einer ländlichen Gegend, ein damaliger Sturm-Spieler war aus meinem Heimatort. Wir sind als Kinder schon sehr zeitig in die Gruabn gefahren.

STANDARD: Sehnen sich Sturms Fans mehr nach Erfolg oder nach einer Identität?

Ilzer: Beides, aber am Ende ist es immer der Erfolg, mit dem sich die breite Masse am meisten identifizieren kann. Wie auch immer man den Erfolg definiert. Der bringt dann auch Identität mit – aber wahrscheinlich auch umgekehrt.

STANDARD: Hilft es in der derzeitigen Lage, wenn man vom WAC und von Hartberg schon weiß, wie man mit begrenzten Mitteln gute Spieler holt?

Ilzer: Wenn du eine genaue Vorstellung hast, welche Spielweise du der Mannschaft beibringen willst, dann hast du ein genaues Anforderungsprofil. Du kriegst nicht auf jeder Position deinen Wunschspieler, aber du kannst das ganz gut kompensieren. Wenn ein Spieler bestimmte Schwächen hat, baust du um ihn herum Spieler mit anderen Komponenten auf. Du bringst verschiedene Facetten in einen Kader, eine gute Hierarchie – nicht zu flach, schon so, dass sich junge Spieler anhalten können und im Sog entwickeln können.

STANDARD: War bei den Sommertransfers so ein absoluter Wunschspieler dabei?

Ilzer: Ja, sicher. Wir haben eingeschränkte Möglichkeiten, müssen ein paar Dinge aus der Vergangenheit lösen. Aber mit Sportdirektor Andi Schicker ist die Zusammenarbeit überragend, wir tauschen uns tagtäglich aus und haben sehr ähnliche Anschauungen von Fußball. Wir können nicht in der Sekunde alles umreißen, aber für die begrenzten Möglichkeiten ist uns schon einiges gelungen. Wir haben versucht, das Ganze von hinten aufzubauen. Aber es ist uns auch klar: Wir gehen nicht in die Quantität. Wir holen nur Qualität, und wenn das nicht möglich ist, werden wir auf den Transfer verzichten.

STANDARD: Wie soll Ihr Sturm seine Tore schießen?

Ilzer: Möglichst aus allen Facetten. Ich möchte Weitschusstore drin haben, ich möchte Tore nach Flankenangriffen, meine Außenverteidiger besetzen Flügel dynamisch. Am Schönsten ist es natürlich, wenn du es auskombinierst und der Stürmer ins leere Tor schießt. Diese Tore habe ich extrem gerne – die verlangen aber eine hohe Qualität. Aber du musst auch eine Phase haben, wo du Kontertore schießt. Oder du hast mit hohem Pressing einen Ballgewinn, der mit ein, zwei Bällen zum Torerfolg führt. Aber es gibt klare Vorstellungen in den Spielphasen und wenn wir die perfekt umsetzen, dann ist das Ende eh immer ein Tor.

STANDARD: Ihre Spielidee ist von Hartberg weg ja immer konstant geblieben.

Ilzer: Ich trage eine Art und Weise von Fußball im Herzen. Wenn ich mich mit etwas nicht identifiziere, kann ich schwer eine Mannschaft davon begeistern. Ich mag beide Komponenten in einem Spiel: Ich will das Kreative, das Zocken sehen, aber es muss in einem gewissen Bereich sein, dort sollte man relativ schnell und geradlinig hinkommen. Ich brauche aber auch diesen kraftvollen Powerfußball mit Duellqualität und guter Staffelung in der vertikalen Ebene, dann ist man schnell im Gegenpressing. Wenn ich diese Mischung sehe, dann sitze ich als Trainer draußen und muss nicht mehr ganz nahe an der Mannschaft sein. Jetzt ist es ihr Spiel. Das ist mir bei ein paar Stationen sehr gut gelungen. Bei der Austria wurde es ergebnistechnisch besser, kombinativ war es im ersten, zweiten Drittel okay. Aber im letzten Drittel waren wir nicht da, wo ich meine Mannschaft hinhaben möchte.

STANDARD: Eine These von mir: Ihre Hartberg- und WAC-Teams waren mehr zusammengeschweißt als Ihr Team bei der Austria.

Ilzer: Ich finde, auch die Mannschaft bei der Austria hat einen richtig guten Charakter gehabt. Von der ersten Runde weg sind wir immer den Erwartungen hinterhergehinkt, aber die Mannschaft hat sich nie auseinandersprengen lassen, hat sich nie abgeputzt und gesagt, der Trainer ist schuld. Als die jungen Spieler stärker forciert wurden, waren arrivierte Spieler, die es gewohnt waren, immer zu spielen, nicht mehr erste Wahl. Das war vom Führen her nicht so einfach, dazu hast du nicht die Ergebnisse – da entsteht nicht so eine Teamdynamik wie bei Hartberg und beim WAC. Dort habe ich sehr viel Einfluss auf die Teamzusammenstellung nehmen können, dabei achte ich natürlich sehr auf den Charakter.

STANDARD: Wie macht man aus unterschiedlichen Menschen ein Team?

Ilzer: Man muss etwas Größeres definieren, damit die Spieler sagen: Das ist es wert, alles zu investieren – und sich in gewissen Situationen selbst hintanzustellen! Eine Vision vorzeichnen und die Truppe auf den gemeinsamen Weg einschwören, wo man auch resistent gegenüber schwierigen Phasen ist. Dann braucht es eine Spielidee, die so kommuniziert und methodisch umgesetzt wird, dass es für die Spieler nachvollziehbar ist. Und ein bisschen kitzeln, Träume wecken. So wie: Wenn du ein Schiff bauen willst, dann sag deinen Männern nicht, wo sie das Holz hinnageln sollen, sondern wecke bei ihnen die Sehnsucht nach dem Meer.

STANDARD: Gibt’s da auch konkrete Ziele?

Ilzer: Visionen sind die Triebfeder, die energiebringend sind. Man definiert ein hohes Ziel und auf dem Weg dorthin kleine, realistische Ziele. Die versucht man dann, Schritt für Schritt zu gehen.

STANDARD: Wenn ich jetzt nach diesem großen Ziel bei Sturm frage, kriege ich keine Antwort.

Ilzer: Nein.

STANDARD: Was haben Sie seinerzeit beim WAC gesagt, war das der Europacup?

Ilzer: Der WAC wäre fast abgestiegen, wir haben dann nach außen klar gesagt: Wir wollen in die Top sechs. Das war ein wahnsinnig hohes Ziel. Hier bei Sturm ist die Situation anders, dass wir einen sehr starken Umbruch haben und es bei dem Verein von außen immer viel Druck gibt. Deswegen sagen wir jetzt: Klar wollen wir unter die Top sechs, aber das wollen alle anderen Mannschaften wahrscheinlich auch. Das Allerwichtigste ist, dass wir mit dem ersten Tag, an dem wir zusammengekommen sind, eine neue, längerfristige Geschichte begonnen haben. Das große Ziel ist jetzt einmal, dieses Projekt weiterzuentwickeln. Das muss in einem halben Jahr schon eine ganz andere Qualität haben und in einem Jahr noch eine höhere.

STANDARD: Das Umfeld bei Sturm ist nicht für Tiefenentspannung und Geduld bekannt, man frage nach bei Heiko Vogel. Gibt es von der Vereinsführung eine Zusage, dass zumindest mittelfristig Geduld und Ruhe kommuniziert werden?

Ilzer: Da kenne ich den Fußball schon zu gut. Ich weiß, wie es bei einer längeren Misserfolgsserie läuft, wie die Mechanismen gehen, vor allem in einem Großklub. Wenn du bei Sturm nach dieser Frühlingssaison mit Despodov, Röcher oder Dominguez richtige Qualitätsspieler wegnimmst und in der Offensive nur einen Neuzugang hast, dann weiß ich, dass auch schwierige Zeiten kommen. Die muss man durchstehen, und das tut man nur, wenn man im inneren Kern voll zusammenhält. Das wird das Entscheidende sein. Wer Wege bei den ersten Schwierigkeiten abbricht, fängt an, sich im Kreis zu drehen.

STANDARD: Sie sollen vermehrt junge Spieler einbauen. Wie viele wollen Sie bis zum Saisonende in der Kampfmannschaft etabliert haben?

Ilzer: Ich schaue auf gar keine Zahl. Wir haben im Kader Platz für junge Spieler geschaffen, aber ich verfalle nicht in Aktionismus. Die jungen Spieler kriegen die Möglichkeit, sich in den Trainings zu etablieren, und werden Spielzeit kriegen. Manche früher, manche später – dann, wenn die Qualität da ist, zu spielen. Wenn in der Abwehr ein Stankovic oder Wüthrich ausfallen, dann spielt der 20-jährige Geyrhofer. Und wenn der dann gute Leistungen bringt, wird er nicht mehr leicht rauskommen aus der Mannschaft.

STANDARD: Gibt es eine alte Fußballmannschaft, an die Sie gerne zurückdenken?

Ilzer: Die Ajax-Mannschaft mit Kluivert in den Neunzigern hat mir extrem getaugt. Da habe ich angefangen, mich damit zu beschäftigen, was die außerhalb des Matches machen. Ich habe mir die ersten Ajax-Amsterdam-Videokassetten gekauft und versucht, die nachzumachen. Das war die Phase, wo ich noch Spieler war – und 1996, wo ich mich nach meinem ersten Kreuzbandriss erstmals mit Trainingsmethoden auseinandergesetzt habe. In Österreich sind es die 94er-Salzburger und Sturms Champions-League-Mannschaft. Ich habe mich in der Gruabn ans Gitter gezwickt und gedacht, dass ich da auch mal spielen möchte. Unten hatte Ivica Osim seine Hand im Haltegriff – dass ich da einmal Trainer bin, hätte ich mir damals nicht gedacht. Als Trainer habe ich alle Mannschaften von Mourinho verfolgt und bin dann auf Guardiola umgesprungen, weil mir Konterfußball gar nicht mehr taugt. Es ist ein Mittel, wenn Gegner extrem überlegen sind – aber in der Grundausrichtung ist es gar nicht meines. Ich will selbst aktiv Dinge gestalten und nicht nur von Fehlern anderer profitieren.

STANDARD: Muss das Spiel zur Persönlichkeit des Trainers passen? Könnten Sie nicht Mourinho-Stil spielen lassen?

Ilzer: Für meine Grundnatur haben diese Spiele einfach viel zu wenige Aktionen. Ich glaube, man entwickelt einen Spieler mit einer aktiven Spielweise viel besser. Aber ich weiß genau, wie ein Spiel aussieht, das du dominieren willst, obwohl ein bisschen die Qualität fehlt. Der Gegner gibt dir keinen Raum, das schaut oft furchtbar aus. Dann kriegst du noch zwei Kontertore, dann heißt es Katastrophenleistung. Die Phasen musst du halt durchstehen. Bei den Kategorien Mourinho, Guardiola und Klopp habe ich eben gerne Klopp und ein bisschen Guardiola.

STANDARD: Sie sind ja nicht nur Fußballtrainer, sondern auch Mensch, Ehemann, Vater. Kann man sich über eine Pandemie Gedanken machen, wenn man gerade einen Fußballverein neu startet?

Ilzer: Ja, sicher. Wir haben ja im Sommer auch zwei Corona-Fälle gehabt, da ist es dann plötzlich ganz nah. Da haben wir gesehen, dass es schon was bei den Spielern bewirkt, dass sich der eine mehr Sorgen macht als der andere. Ich habe Großeltern, die sind beide 90, die geht man da halt nicht besuchen. Global gesehen mache ich mir ein bisschen Sorgen, ich hoffe, dass sich das alles bald beruhigt und man diese Geschichten in den Griff kriegt. Steigende Arbeitslosigkeit, Wirtschaftseinbruch, das kann viele Dinge auslösen.

STANDARD: Spricht man über solche Themen mit den Spielern?

Ilzer: Bei der Austria waren im Kleingruppentraining ein Madl oder ein Flo Klein in meiner Gruppe, da haben wir uns schon immer wieder über diese Dinge unterhalten.

STANDARD: Zum Abschluss: Fußball ohne Fans ist …

Ilzer: Wie ein Gin ohne Tonic. (Martin Schauhuber, 18.9.2020)