In Steyr brodelt es. Die MAN-Belegschaft sieht sich nicht für die Misere des Volkswagen-Konzerns verantwortlich.

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Erich Schwarz ist Optimist. Und Obmann eines Fußballvereins. Beides kommt ihm aktuell in seiner Funktion als MAN-Betriebsratsvorsitzender durchaus gelegen. Denn trotz der Ankündigung der MAN-Vorstandsetage, im Jahr 2023 den rund 2.300 Mitarbeitern im Steyrer Werk das Licht abdrehen zu wollen, ist Schwarz positiv gestimmt. Und glaubt fest daran, die Schließung abwenden zu können: "Es ist wie beim Fußball. Wenn du um den Abstieg spielst, hast du nicht nach dem ersten Spiel verloren. Wir stehen am Beginn von harten Verhandlungen." Außerdem habe MAN-Eigentümer VW "noch nie einen Standort zugesperrt".

Wenn auch der Ärger über den Volkswagen-Konzern groß ist: "Der Standort Steyr ist sicherlich nicht für die Misere verantwortlich, die im Konzern momentan vorhanden ist. Und schon gar nicht in der Produktion." Außerdem hätte das VW-Management viel schneller reagieren müssen. Schwarz: "Einfach früher den Stoppel ziehen und frische Luft hineinlassen. Man hat aber einfach zugeschaut, bis der Topf übergegangen ist."

Regionale Erschütterung

Für den Ökonomen Jakob Kapeller, gebürtiger Steyrer und Professor an der Linzer Johannes-Kepler-Universität sowie an der Universität Duisburg, wäre die MAN-Schließung eine Erschütterung für die gesamte Region. "Es wird zwar der Industriestandort Steyr nicht untergehen. Aber es sind ja auch viele Unternehmen in der Region betroffen. Etliche Zulieferer, auch die Gastronomie."

Für Kapeller stellt sich vor allem die Frage nach dem Warum: "MAN ist ja eigentlich mit einer Eigenkapitalquote von gut einem Drittel absolut kein Sanierungsfall, sondern vielmehr ein solides Unternehmen." Der Ökonom vermutet daher einen internen Wettbewerb. Schwarz: "MAN ist im Ranking wahrscheinlich relativ weit hinten. Etwa im Vergleich zu Scania. Beide gehören zu VW, beide produzieren Lastwägen. Nur hat man eben in Steyr ein deutlich höheres Lohnniveau. Und da schreitet man dann reflexartig zu einer Kostensenkungsstrategie." Vor allem sei der Ansatz heutzutage in so großen Unternehmer ein anderer: "So etwas wie Verbundenheit mit der Region, mit den Kunden gibt es heute nicht mehr. Einzig die Erhöhung der Rendite für die Eigentümer zählt."

Kritik an der Politik

Von der Politik ist Betriebsratsobmann Schwarz übrigens schwer enttäuscht: "Einzig in Steyr gibt es einen entsprechenden Rückhalt. Vonseiten der Bundespolitik gibt es gar keine Reaktion. Haben wir überhaupt eine Regierung, die sich für Arbeitsplätze einsetzt?" Aber auch auf Landesebene erwartet sich Schwarz mehr Engagement: "Oberösterreichs Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner hat gleich eine Stiftung in Aussicht gestellt. Wenn ich so etwas ankündige, hab' ich eigentlich schon aufgeben."

Der Angesprochene bleibt auf Nachfrage dabei. "Sollte es tatsächlich zu einem Personalabbau oder einer Schließung des Standorts kommen, dann wird das Land Oberösterreich natürlich die betroffenen MAN-Beschäftigten bestmöglich unterstützen, beispielsweise im Rahmen einer Stiftungslösung", führt Achleitner im STANDARD-Gespräch aus. Man sei derzeit "laufend im Kontakt mit der Geschäftsführung und dem Betriebsrat von MAN Steyr" und hoffe nach wie vor auf einen Erhalt des Standorts.

Millionenschwere Investitionen

Achleitner: "Aus unserer Sicht gibt es viele gute Gründe für einen Erhalt des MAN-Standorts Steyr. Es gibt dort hochqualifizierte Mitarbeiter, außerdem hat der Konzern dort in jüngster Vergangenheit millionenschwere Investitionen getätigt." Beispielsweise habe man in Steyr 60 Millionen Euro in die größte Lackieranlage Europas für Lkw-Kunststoffteile investiert.

Ein Kahlschlag bei Jobs droht derzeit quer durch Österreich. Wattens brechen im ersten Schritt tausend von 4.600 Stellen weg. Bis 2022 will der Kristallkonzern Swarovski weitere 600 Arbeitsplätze streichen.

Kaum Chancen auf neue Jobs

Am Mittwoch den Kampf um längere Kurzarbeit verloren haben 300 Mitarbeiter bei Doka in Amstetten. Die Umdasch-Tochter ist auf Schalungstechnik spezialisiert. Weltweit stehen die Baustellen still, eine Erholung des Geschäfts ist dem Konzern zufolge nicht in Sicht.

Betriebsrat Josef Steinböck hofft, dass sich ein Teil des Stellenabbaus über natürliche Abgänge erreichen lässt, und verhandelt einen Sozialplan. Die Chancen auf andere adäquate Industriejobs in der Region stünden aber schlecht. "Mit unseren Problemen sind wir hier nicht allein." Doka zählt in Niederösterreich rund 2.000 Beschäftigte. Vor Corona fuhren sie auf Wachstumskurs.

Schlechte Karten haben die 360 Mitarbeiter von ATB in Spielberg in der Steiermark. Die ersten Maschinen und Montagebänder des Elektromotorenherstellers sind schon abgebaut. Die Eigentümer boten der Belegschaft nun an, Geld in eine Arbeitsstiftung zu zahlen, sie sind dazu bereit, die Anlagen in Polen neu aufzustellen, erzählt Betriebsrat Michael Leitner. Er nennt es ein unmoralisches Angebot. Die Arbeiter würden im Werk wie Schachfiguren hin und her geschoben. Die Hoffnung, ihre Jobs zu retten, gibt er nicht auf. Sein Arbeitgeber hat gerichtlich um Kündigung des Betriebsrats angesucht.

Rettung des Zuckers

Das Hotel Sacher kündigt in Wien und Salzburg 140 Leute. Die Insolvenz bereitet angesichts der Krise in der Gastronomie und Altlasten die Brauerei Grieskirchen vor. 50 Mitarbeiter des Traditionsbetriebs sind betroffen. Besser sieht es für den Zucker aus. Die Agrana verspricht, die Zuckerfabrik Leopoldsdorf mitsamt der 150 Arbeitsplätze zu retten, sofern Rübenbauern ihre Flächen um 12.000 Hektar ausweiten. Diese dürfen darauf weiter umstrittene Neonicotinoide als Beizmittel einsetzen. (Markus Rohrhofer, Verena Kainrath, 18.9.2020)