Stephan Roiss, "Triceratops". 20,– Euro / 202 Seiten. Kremayr & Scheriau, 2020

Cover: kremayr scheriau

Diese kurzen, trocken erzählten Szenen, nicht viel mehr als Erinnerungsfetzen an eine längst vergangene Zeit, ziehen einen sogleich in ihren düsteren Bann. Sie sind das Erfolgsgeheimnis hinter dem Erstlingsroman Triceratops des Oberösterreichers Stephan Roiss und wohl der Grund dafür, dass das Buch es auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis geschafft hat, wenn auch nicht auf die Shortlist.

In kargen Szenen führt der Erzähler in der "Wir-Form" in seine Kindheit zurück. Den Namen des Protagonisten erfährt man nicht, die Geschichte spielt im ländlichen Österreich der 1980er- und 1990er-Jahre. Wobei Roiss keine Geschichte erzählt, sondern Ausschnitte aneinanderreiht.

Aus dem Elternhaus, der Schule, dem Spital, vom ersten Buchkauf, der Fahrt mit dem Schulbus, dem Streit mit der Schwester. Die Szenen haben oft nichts gemein miteinander. Roiss schafft damit eine neue, wenn auch allen bekannte Erzählform: Menschen erinnern sich ja genauso an ihre Kindheit, in Ausschnitten und Fragmenten.

Die Mutter in der Anstalt

Das zweite Erfolgsgeheimnis ist die Geschichte selbst, die hier behandelt wird: Da ist eine schwerkranke Mutter, die an Depressionen leidet und immer wieder in der geschlossenen Anstalt landet. Der Erzähler im Roman, wenn auch erst ein kleiner Junge, ist für sie verantwortlich, muss sie trösten und sich um sie kümmern.

Da ist ein distanzierter Vater, der es vermutlich nicht viel besser weiß, der aber wenig bis keine echte Beziehung zu seinem Sohn aufbauen kann. Da ist eine Schwester, die unter diesen Umständen selbst mit ihrem Leben kämpft, und da sind Klassenkollegen, die mit dem sonderbaren Protagonisten oft nichts anzufangen wissen. Zu den wenigen echten Beziehungen, die der Junge aufbauen kann, zählt die Aschbach-Großmutter, eine feste Trinkerin und schrullige, aber liebenswürdige Frau.

"Ging es Mutter gut, kochte sie Lasagne für uns, und wir durften Knight Rider schauen", erzählt der Protagonist. "Unsere Gabel tauchte in die Béchamelsauce ein, während K.I.T.T. über zwei Autos sprang. Unsere Schwester kam früher als gewohnt nach Hause und legte Puzzles mit uns. Wir drehten die Schachtel um in der Hoffnung, das fehlende Puzzleteil fiele heraus. Vater fuhr mit uns ins Schwimmbad oder zeigte uns die Alpakas, die ein Bauer im Mühlviertel züchtete. Wir rutschten in gelber Badehose durch blaue Röhren. Unsere Hand strich über kastanienrotes Fell."

Keine Auflösung

Es gibt, so viel sei verraten, keine Auflösung in der Geschichte: Was aus dem Jungen geworden ist, erfährt man nicht. Aber die Erzählung lässt einen doch erahnen, dass das Kind eben nicht zugrunde gegangen ist, denn es gibt Lichtblicke in seinem Leben. Menschen wie die Großmutter, die ihn erahnen lassen, dass da draußen noch ein anderes Leben möglich ist.

So wie der Junge kämpft, so war auch die Entstehung des Buches ein Kampf, erzählt Roiss, Jahrgang 1983, der selbst aus einem kleinen Ort in der Nähe von Linz stammt. Fast fünf Jahre hat er an dem Buch "mit autobiografischen Bezügen" geschrieben. Der Protagonist spricht nie über seine Gefühle, wie auch, wenn es niemand mit ihm gemacht hat. "Aber diese Erzählweise durchzuhalten, nicht epischer oder blumiger zu werden, war anstrengend", sagt Roiss. Immer wieder musste er Teile überarbeiten, sprachlich verschlanken. Eine Herausforderung war es auch, die Wir-Form durchzuhalten, sagt er. Schon aus praktischen Gründen: Wenn der Erzähler wirklich in Gemeinschaft ist, wie erzählt man dann darüber, wenn er schon allein von sich selbst als "Wir" spricht?

Wer neben dem Protagonisten noch da ist und aus ihm dieses Wir macht, erfährt man nicht, vielleicht ist es ja genau jener Triceratops, der als Titelgeber für das Buch dient: ein starker, gut gepanzerter Dinosaurier, der viel aushält, aber selbst als Pflanzenfresser zahm ist. Das Buch sorgt dafür, dass einem Bilder in den Kopf schießen, auch aus der eigenen Kindheit. Und es fordert heraus, weil manches bedrückend ist und weil am Ende auch die eigene Vorstellungskraft gefragt ist, um die Geschichte zu ergänzen und weiterzuerzählen. (András Szigetvari, 19.9.2020)