Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) empfiehlt Homeoffice, wo es sinnvoll ist.

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Wien – Seit März 2020 ist die Zahl der von Homeoffice betroffenen Menschen in Österreich sprunghaft angestiegen. Waren davor rund zehn Prozent der Arbeitsplätze mobil, wanderten während des Lockdowns gleich 40 Prozent der Arbeitsplätze in die privaten vier Wände – und damit in einen rechtlichen Graubereich. Was zählt als Pause, was als Arbeitszeit? Sind Unfälle im Haushalt Arbeitsunfälle? Und so weiter.

Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) hat am Freitag deshalb Vertreter der Sozialpartner zu einem Treffen eingeladen, um die Herausforderungen des Homeoffice zu diskutieren. In einer wenig informativen Pressekonferenz nach dem Kickoff-Meeting mit Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer, Gewerkschaft und Industriellenvereinigung war klar: Informatives dürfte es erst im Frühjahr 2021 geben – also ein Jahr nachdem der erste und vorerst einzige Corona-Lockdown verhängt wurde. Denn erst dann sollen die Ergebnisse der Beratungen präsentiert werden.

Arbeitsgruppen

Der Bundeskanzler hatte die Sozialpartner und das Arbeitsministerium gebeten, das Arbeitsrecht zu modernisieren. Es gehe am Freitag darum, gute Lösungsansätze für kurzfristiges und langfristiges Homeoffice auszuloten, sagte Aschbacher. Was ist kurzfristig dringend und notwendig? Wie könnte das rechtliche Regelwerk mittelfristig weiterentwickelt werden?

Es würden Arbeitsgruppen gebildet, die die gelernten Lektionen in ein gesetzliches Regelwerk gießen sollen. Im Dezember konferiert man erneut, im März soll es, wie gesagt, erste Ergebnisse geben.

Kritik an Zeithorizont

Kritkern dauert der Plan von Ministerin Aschbacher zu lange. Auch Arbeitsrechtsexperte Martin Gruber-Risak sieht Handlungsbedarf. Die Probleme würden schon jetzt drängen und jedenfall vor der zweiten Welle. "Man könnte vieles bereits bei der Herbstlohnrunde bei den Kollektivvertragsverhandlungen aufnehmen oder gleich einen Home-Office-Generalkollektivvertrag abschließen. Dafür braucht es die Arbeitsministerin gar nicht", so der Experte, der außerdem anmerkt: Gesetzliche Regelungen zum Arbeitnehmerschutz im Homeoffice würden oft bereits bestehen, sie seien nur nicht leicht verständlich.

Nachtruhe ein Thema

Thema soll auch die Nachtruhe sein. In vielen Bereichen ist es rechtlich gar nicht möglich, am Abend zu arbeiten. Es gelte da, flexibler zu werden, aber an der Nachtruhe soll nicht gerüttelt werden, sagte Aschbacher. Es sei auch gar nicht notwendig, alle Details im Gesetz zu verankern. Es gebe ja auf betrieblicher Ebene die Möglichkeit, flexible Vereinbarungen zu treffen. So etwa sagte eine OMV-Sprecherin im Ö1-Journal um acht, dass man keine Regelung brauche, weil es bereits eine entsprechende Betriebsvereinbarung gebe.

Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl warf ein, dass Flexibilität nicht dazu führen dürfe, dass Gesetze umgangen werden – Stichwort Ruhezeiten. "Wir brauchen ein nachhaltiges Regelwerk für Homeoffice", sagte Anderl. Es gehe um Arbeitnehmerschutz, Unfallversicherung – wobei die derzeitige Lösung zum Jahresende auslaufe – Datensicherheit und viele weitere Punkte.

Homeoffice müsse auf Freiwilligkeit basieren, damit Beschäftigte motiviert arbeiten könnten. Homeoffice sei auch keine Kinderbetreuung, man müsse daher Homeoffice klar abgrenzen gegenüber Freizeit und Familie. Da und dort werde man auch Rechtsansprüche brauchen.

Kopf fordert Flexibilität

Wirtschaftskammer-Generalsekretär Karlheinz Kopf verwies darauf, dass das mobile Arbeiten in den letzten Monaten vor allem im Büro- und Dienstleistungsbereich der Wirtschaft sehr geholfen habe, um die Betriebe am Laufen zu halten. Weitgehend habe es gut funktioniert, weil sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer rasch darauf verständigt hätten.

Es brauche für das Arbeiten von zu Hause aus einerseits größtmögliche Flexibilität sowie Klärungen, etwa ob der Betrieb die Betriebsmittel zur Verfügung stellt oder die eigenen verwendet werden. Es werde Regelungen brauchen, aber auch Empfehlungen, um diese "neue Form des Arbeitens" so zu gestalten, dass es für beide Seiten möglichst optimal sei.

Psychische Belastung

Homeoffice verlangt aber auch gutes Selbstmanagement, wie der Philosoph Felix Pinkert im März in einem Gastbeitrag beschrieben hat. Umfragen zeigen, dass sich viele Menschen während des mobilen Arbeitens schwer dabei tun, Pausen zu machen beziehungsweise Freizeit und Arbeitszeit zu trennen.

Der Arbeitspsychologe Gerhard Klicka warnt, dass Homeoffice zu psychischer Belastung führen kann. Fragen des Arbeitnehmerschutzes und der Arbeitszeitregulierung seien unter den Bedingungen des mobilen Arbeitens nur mehr schwer nachvollziehbar. Daher sollten im Regelbetrieb nicht mehr als zwei Homeoffice-Tage pro Woche eingeplant werden, empfiehlt er.

Von Tücken des Homeoffice berichtet auch der liberale Thinktank Agenda Austria: Wie eine Feldstudie zeigt, gehen von zu Hause aus arbeitende Mitarbeiter bei Beförderungen öfter leer aus, zudem fehlt vielen Mitarbeitern ab einer gewissen Zeit der soziale Kontakt. Allerdings zeige die ökonomischen Literatur auch, dass die Arbeitsproduktivität im Homeoffice steigt. Allerdings seien diese Erkenntnisse in der Regel auf besser qualifizierte Arbeitnehmer beschränkt.

Anwenden, wo sinnvoll

Wo es leicht und sinnvoll sei, Homeoffice anzuwenden, appelliere man an die Unternehmen, das auch zu tun, sagte Aschbacher. Wo das Arbeitsumfeld hinreichende Sicherheitsstandards garantiert, ist Homeoffice nicht notwendig.

Klar ist jedenfalls: Die Zukunft der Arbeitswelt wird mit Blick auf Homeoffice und Büro kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Die Interessenvertreter munitionieren schon seit einiger Zeit für die am Freitag begonnenen Gespräche auf. Einer der Knackpunkte dürfte die Freiwilligkeit werden: Wer in seinem Dienstvertrag das Büro als Dienstort stehen hat, kann nur einvernehmlich ins Homeoffice geschickt werden. Gewerkschafter warnen, dass Arbeitgebervertreter die Freiwilligkeit kippen wollen – schließlich verspricht Homeoffice eine Ersparnis bei der Miete von Büroräumlichkeiten.

Auch was als Arbeitsunfall gilt, muss für das Homeoffice erst geregelt werden. Eine Verordnung, die Unfälle zu Hause während der Pandemie sehr großzügig als Arbeitsunfälle auslegt, läuft mit Jahresende aus. Als dritter großer Knackpunkt gilt die Frage der Arbeitszeit. Weil bei überwiegendem Homeoffice die genaue Erfassung der Arbeitszeit schwierig ist, sehen Experten Bedarf für mehr Klarheit in den Homeoffice-Bestimmungen. (luis, red, 18.9.2020)