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In Armin Baumgartners Suada soll eine Mauer her – auch zur Abwehr "alpin geschulter" Migranten.

Foto: Picturedesk.com / Westend61 / Austrian Images

Sehen Sie, dort hinter den drei Apfelbäumen, wo jetzt noch dieser Stacheldrahtverhau die Grenze bildet, ebendort wird in ein paar Monaten schon eine gewaltige Mauer stehen. Was heißt gewaltige Mauer, es wird ein Monumentalwerk entstehen, ein Bauwerk mit enormem Identifikationspotenzial.

Denn wir haben mit der Zeit sehr schnell erkannt, dass unser mickriger Grenzzaun keineswegs dazu geeignet ist, den massiven Ansturm von Migranten und anderen Fremden, die seit Jahren massenweise von jeglicher Richtung her kommend in unser schönes Land strömen, effektiv davon abzuhalten, ebendiesen zu überwinden.

Immer wieder haben sich besonders resistente und gefinkelte Exemplare geschickt mit einer Drahtschere irgendwo ein Loch in den Zaun geschnitten, und akkurat dort, wo wir es nicht vermutet und auch nicht bemerkt hatten, wo wegen der Unwegsamkeit des Geländes unsere Grenzsoldaten nicht eingesetzt werden konnten, sind sie trotz aller Bemühungen illegal auf unser wahrlich wunderschönes Staatsgebiet gelangt und haben sich möglicherweise auch schon in unser Sozialsystem eingeschlichen und es sich darin bequem gemacht.

Undurchdringbarer Sichtschutz

Dies haben wir aber sehr schnell als Problem identifiziert, eingehende Beratungen einberufen und uns dazu entschlossen, den Zaun wieder abzureißen und an seiner statt eine Mauer rund um unser schönes Land aufzuziehen, um diesem Zustrom an Migranten und Fremden ein für alle Mal einen Riegel vorzuschieben und dem Missbrauch unserer Gastfreundschaft ein Ende zu bereiten.

Und diese Mauer wird nicht nur so hoch sein, dass kein Mensch je in der Lage sein wird, sie zu überwinden, nein, vielmehr wird diese Mauer einen undurchdringbaren Sichtschutz bieten und jenen Migranten, die sich an unseren Außengrenzen befinden und erwägen, unser Land zu betreten, weil es hier eben so schön ist, keine Einsicht mehr in unser so wunderschönes Land erlauben, sodass von außen niemand mehr erkennen kann, wie schön es hier wirklich ist, und folglich niemand auch nur das geringste Interesse entwickeln wird, unser Land zu betreten.

Gemeine Gemeinschaft

Nach heftigen Debatten und intensiven Beratungen sogar mit Sprachwissenschaftern höchsten Ranges haben wir ein logisches wie einfaches Prinzip entwickelt, auf dem unsere Nation hinkünftig beruhen soll: wo keine Einsicht, da kein Interesse! Na, wie klingt das? Das klingt nach Entschlossenheit, wenn Sie mich fragen, nach Führungsstärke und Zukunftsvision.

Zur Begeisterung aller konnte so eine weitere für unser Österreich identitätsstiftende Erkenntnis mit philosophischem Gehalt gewonnen werden, die einen nachhaltigen Effekt nach sich ziehen würde: Wir als Nation, als Gemeinschaft, hätten demnach die Einsicht ein für alle Mal unterbunden und könnten nach außen hin eine dermaßen blickdichte Uneinsichtigkeit gewährleisten, dass jegliches Interesse, unser Land zu betreten, für immer auszuschließen ist, wie unsere Sprachwissenschafter so glanzvoll geschlussfolgert haben.

Eine weitere Erkenntnis lieferten die Philosophen: Es stecke überdies in dem Wort "Gemeinschaft" eben auch "gemein", was uns zu folgender Ansicht führe, dass eine Gemeinschaft per definitionem gemein sein müsse, vor allem jenen besagten außerhalb dieser Gemeinschaft stehenden Fremden gegenüber.

2706,4 Kilometer heimische Staatsgrenze

Und wenn man eins und eins zusammenzähle, werde diese notwendige gemeine Uneinsichtigkeit von einer Mauer verlässlich gewährleistet, verstehen Sie, und eben nicht von einem Zaun. Ich versichere Ihnen, wir werden schon bald unsere wunderschöne Nation mit einer monströsen uneinsichtigen Mauer von der Außenwelt abgeschirmt haben, deren Ausmaße die Welt staunen machen wird – ein für alle Mal.

Ich getraue mir sogar zu prophezeien: Diese österreichische Mauer wird in ihren Dimensionen die Chinesische übertreffen. Freilich nicht in der Länge, das wäre vermessen zu behaupten, misst die Chinesische Mauer doch insgesamt ganze 21.196,18 Kilometer. Im Gegensatz dazu erscheinen die 2706,4 Kilometer heimischer Staatsgrenze nachgerade lächerlich. Aber in der Höhe werden wir alle bisher bekannten Dimensionen im Mauerbau überbieten.

Entsetzlich hoch

Ich bin mir sicher, dass diese gigantische nationale Anlage wie das asiatische Bollwerk auch von Satelliten aus zu erkennen sein wird! Ja, unsere hervorragenden Experten haben in den vergangenen Monaten in Studien errechnet, dass diese Mauer, um das Überwinden derselben gänzlich ausschließen zu können, sehr hoch sein muss, um nicht zu sagen: entsetzlich hoch.

Diese entsetzliche Höhe soll nicht nur ein für alle Mal sicherstellen, dass niemand, der noch halbwegs bei Verstand ist, jemals überhaupt die Möglichkeit in Erwägung zieht, ein Seil mit Ankerhaken die Mauer hochzuschießen, um diese zu überwinden, sie soll vielmehr jeden vernunftbegabten Menschen schon bei ihrem Anblick davon abhalten, jeglichen Wunsch, diese zu übersteigen, überhaupt erst zu entwickeln, und sie soll auch verlässlich jegliches Interesse an dem, was sich dahinter befindet, also an unserem schönen Land und seinen Kulturgütern und Schätzen sowie an seinen gastfreundlichen Menschen, im Keim ersticken.

Um all diese Voraussetzungen erfüllt zu wissen, legten unsere Experten für diese Mauer eine Mindesthöhe von zwei Kilometern fest. Geistesgegenwärtig warf einer unserer wahrhaft brillanten Glaziologen an dieser Stelle die Frage ein: Was, wenn ein an der Landesgrenze gelegener Berg just genau dort die Mauer überragt und möglicherweise alpin geschulte Eindringlinge dazu einlädt, sie an jener Stelle zu überklettern?

Mammutaufgabe

Die Antwort: Wir setzen den höchsten Punkt unserer Landesgrenze als Nullpunkt der zwei Kilometer hohen Mauer an. Messungen haben ergeben, dass der höchste Grenzübergang unseres Landes, die Zugspitze, bereits auf etwa 2962 Metern liegt. Die maximale Höhe der Mauer müsste demnach vom Nullpunkt aus gemessen exakt 4962 Meter über dem Meeresspiegel – also der Adria – betragen.

Die Differenz von Apetlon im Burgenland als niedrigstem Punkt der Grenze mit 210 Metern über Adria gemessen würde somit bis zum oberen Mauerende exakt 4752 Meter betragen. Sie sehen schon, dass es gewaltiger Rechenleistungen bedarf, um wirklich jede Möglichkeit, unser Land zu betreten, auszuschließen. Die Bewältigung dieser als Mammutaufgabe zu bezeichnenden Unternehmung bedarf freilich einer gemeinsamen nationalen Anstrengung, und es wird für alle an dem Bau Beteiligten sicherlich kein Honiglecken werden.

Denn allein schon um das Material für die Mauer zu besorgen, werden wir wahrscheinlich bald unsere Zementvorräte verbraucht haben, die, da kann ich Sie beruhigen, zumindest für das Fundament der Mauer ausreichen dürften.

Land der Berge

Die Berechnungen unserer besten Ingenieure haben ergeben, dass irgendwann ein Punkt erreicht sein könnte, wo wir an unsere Grenzen stoßen werden. Die Lösung dieses Problems liegt laut den Experten in angemessenen, ja sogar naheliegenden Alternativen: Nach nächtelangen Diskussionen und Berechnungen sind die honorigen Damen und Herren zu dem Schluss gekommen, dass man durchaus, wenn man sie schon nicht mehr herzeigen kann, unsere mächtigen und sicherlich mit einzigartiger Schönheit bedachten Berge abbauen und mit dem herausgebrochenen Gestein durch gebräuchliche Recyclingmethoden baufähiges Material gewinnen könne.

Bedenken Sie nur, wie viele Kilometer der Mauer unsere höchsten und massivsten Berge gemeinsam ergeben würden. Und da wir in unserem schönen und landschaftlich abwechslungsreichen Land an Bergen nicht gerade arm sind, müssen wir damit auch nicht geizen, um ein dermaßen hehres Ziel erreichen zu können. Es wird uns also zweifellos gelingen, eine Mauer mit konstanten vier Komma neunhundertzweiundsechzig Kilometern Höhe zu errichten, die ganz Österreich vollinhaltlich umschließt.

Freilich gab es auch Bedenken unter anderem bezüglich der Straßen, Eisenbahnstrecken und Flüsse, die in unser Land führen oder aus diesem hinaus, denn diese würden durch den Mauerbau ebenso unterbrochen oder abgeschnitten.

Doch auch in diesem Punkt haderten die Mitglieder unseres hervorragenden Expertengremiums nicht allzu lange und fällten kurzerhand den auf ausgewiesener praktischer Erfahrung bauenden Entschluss, Autobahnen, Straßen, Wege oder Bahntrassen, die heute noch ins Ausland führen, an der Mauer nicht einfach enden zu lassen, sondern kurz davor durch Kreisverkehrsanlagen, in deren Bau es uns keineswegs an Expertise fehlt, umzuleiten und wieder landeinwärts zu führen.

Topografie und Kreisverkehr

Ein noch auszuarbeitender Vorschlag lautete, diese neuralgischen Punkte durch den Bau von neuen Straßen sowie Gleisanlagen sogleich auch zu verbinden und dergestalt Panoramastrecken entlang der Mauer zu errichten, damit unsere Einwohner jederzeit die Gelegenheit bekommen, das gemeinsam erbaute Bollwerk zu betrachten und dessen Herrlichkeit und Massivität hautnah zu erleben.

Flüsse könnten in Zukunft einfach aufgestaut und an der Mauer entlang abgeleitet werden. Sie würden sich mit der Zeit andere Wege suchen, es könnten mitunter auch Seen entstehen, und somit wird hierzulande eine gänzlich neue Topografie entstehen, denken Sie nur, wir werden eine historische Veränderung unseres schönen Landes schaffen, etwas vollkommen Neues.

Nachdem wir also auch für dieses letzte Problem eine gangbare Lösung gefunden haben, steht ihrer Verwirklichung nichts mehr im Wege. Diese gemeinsame nationale Anstrengung, das schwöre ich Ihnen, wird für alle Zeit in die Geschichtsbücher eingehen. Die Welt wird künftig nur noch staunen über Österreich. Der Ruhm und Dank kommender Generationen ist uns heute schon gesichert. Denn nach Fertigstellung des bombastischen Bauwerks wird es keine Eindringlinge mehr geben, egal ob Flüchtlinge oder Touristen.

Und seien wir einmal ehrlich: Durch die vielen Sportunfälle stellen Touristen oftmals eine ebenso große Belastung unseres Sozialsystems dar, wie es die Flüchtlinge tun. Aber ich schweife ab, denn ein Punkt wäre noch zu klären: Wir wollten diesem historischen Bollwerk, das ganz Österreich von allem Unheil abschirmen und behüten soll, einen würdigen Namen geben.

Nun, mit der Findung eines solchen haben wir unsere bedeutendsten Schriftsteller beauftragt, und wahrlich, sie haben nicht lange auf sich warten lassen und innert dreier Nächte einen Namen geliefert, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen wird – und dies beileibe nicht nur dann, wenn die Sonne tief steht: der Sonnenwall. Na, was sagen Sie? Klingt das nicht heroisch? Der Sonnenwall, in dessen Schatten sich ganz Österreich sonnen wird. Jetzt sagen Sie aber nichts mehr. (Armin Baumgartner, 19.9.2020)