Weil ich es sage" beeindruckt heute die meisten Kinder ebenso wenig wie "Weil Gottvater es so will" Erwachsene. Das ist das Ergebnis einer langen Tradition der Kritik an Autoritäten in der Philosophie, der Aufklärung und der politischen Kämpfe für Demokratie. Derzeit ist Autoritätskritik oft eine populistische und wendet sich gegen Wissenschaft, Expertinnen und kritisches Denken. Catherine Newmark stellt in ihrem Buch Warum auf Autoritäten hören? angesichts der Corona-Krise eine drängende Frage, will deren schlechtes Image aufbessern und an die Vorteile einer "gelungenen Autorität" erinnern.

STANDARD: Ihr Buch ist im März erschienen, mitten im Lockdown und damit in einer Zeit, in der wir plötzlich in völlig neuem Ausmaß auf Politiker und Politikerinnen hören, neue Regeln befolgen und auf die Wissenschaft vertrauen mussten. War das eine besondere Herausforderung für unseren Umgang mit Autoritäten?

Newmark: Ja, aber auch eine Chance. Am Anfang der Corona-Zeit erlebten wir Wissenschaft in Echtzeit. Das fand ich positiv: Die Menschen hatten plötzlich mehr Geduld und Interesse an der Forschung, als man es üblicherweise voraussetzen kann. Viele verfolgten genau, wie wissenschaftliche Prozesse vor sich gehen. Man konnte sehen, wie gelungene wissenschaftliche Autorität funktioniert und warum wir in gewissen Kontexten gar nicht auf Autorität verzichten können. Die Auftritte des Virologen Christian Drosten waren ein gutes Beispiel dafür: Er hat sich in seinem Gestus permanent selbst begrenzt, sagte, wo er nicht zuständig ist, worüber er noch nichts weiß. Diese Art der Selbstbeschränkung und das Wissen um die eigenen Grenzen, das ist in meinem theoretischen Verständnis gelungene Autorität.

Der erhobene Zeigefinger gehört sonst zu einer männlichen Autoritätsinszenierung.
Foto: Imago / Photocase / Pola Rocket

STANDARD: Sie sagen, am Anfang war das so. Und dann?

Newmark: Man hatte relativ rasch keine Geduld mehr für diesen langsamen, immer wieder sich selbst korrigierenden Prozess der Wissenschaft. Und genau das wurde dann der wissenschaftlichen Erklärung zum Vorwurf gemacht: dass sie keine abschließende Wahrheit zu verkünden weiß. Da gab es einen Stimmungsumschwung, zumindest habe ich das in Deutschland so wahrgenommen. Aber ich vermute, diese Dynamik war regional sehr unterschiedlich und hatte auch mit der politischen Führung zu tun. Die US-Amerikaner hatten wahrscheinlich keinen Moment lang das Gefühl einer ruhigen Autorität an der Spitze ihres Staates, wie wir das etwa in Deutschland hatten.

STANDARD: Sie schreiben, dass wir ein vermurkstes Verhältnis zur Autorität haben. Könnte es sein, dass sich wegen Corona dieses Verhältnis noch verschlechtert?

Newmark: Wenn man es als Zumutung empfindet, dass einem eine Regierung Entscheidungen abnimmt, dann ja. Das hängt eng damit zusammen, ob man die jeweilige Regierung für vertrauenswürdig hält. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass Demokratie auch Arbeitsteilung ist: Ich kann meinen Hobbys und meinem Broterwerb nachgehen, im familiären Kreis tun, was ich will, und muss mich um das öffentliche Gemeinwesen nicht kümmern. Dafür habe ich Leute abgestellt, deren Job es ist, sich um eine öffentliche Gesundheitskrise zu kümmern. Wie wir wissen, fällt es uns schwer, in jedem Moment die richtige Entscheidung zu treffen. Es ist eine Alltagserleichterung, nicht überlegen zu müssen, wie weit ich Abstand halten muss, wie ansteckend eine Alltagssituation ist. So kann man es auch sehen.

Catherine Newmark: Expertin in Sachen Autorität.
Foto: Johanna Ruebel

STANDARD: Warum ist unser Verhältnis zur Autorität so schwierig?

Newmark: Das Problem ist, dass wir von diesen alten Bildern nicht wegkommen. Von einem übermächtigen Gott, von übermächtigen Vätern und uns bedrohenden Verhältnissen. Wenn man sich aber klarmacht, in wie vielen alltäglichen Situationen man Macht abgibt, Vertrauen schenkt und auch Verantwortung abgibt, dann hat Autorität auch etwas Entspannendes. Sicher gibt es auch eine Delegation von Macht, die missbraucht wird, oder das Vertrauen in diese Macht wird nicht eingelöst. Doch in westlichen Demokratien ist man dem nicht ausgeliefert, man kann sich zur Wehr setzen, kann Regierungen abwählen, auch wenn das innerhalb unserer Wahlzyklen recht lange dauert. Trotzdem ist es möglich. Auf der persönlichen Ebene ist Autorität eine Beziehung, die von beiden Seiten gepflegt werden muss. Zum Beispiel zwischen Eltern und Kindern: Sobald man sich nicht genügend um die Verantwortung kümmert, verliert man auch die Autorität, die mit der Verantwortung einhergeht.

STANDARD: Sie schreiben, uns fehlt etwas, wenn wir unseren Wunsch nach Autorität nicht sehen wollen. Was meinen Sie damit?

Newmark: Dann missverstehen wir uns selbst. Es war historisch und vor allem im 20. Jahrhundert natürlich ganz wichtig, dass man das Autoritäre kritisiert hat. Aber das Autoritäre ist auch eine missbräuchliche Form von Autorität, in der Autorität und Macht zusammenfallen. Darüber hinaus hat aber Autorität mit Respekt, Vertrauen und Verantwortung zu tun hat. Wenn man Autorität so denkt, dann kann man viele kleinteilige Beziehungen als Autorität und auch als Autorisierung wahrnehmen. Autorisierung hängt mit wichtigen Fragen zusammen: Wem schenke ich mein Gehör? Wessen Wort gebe ich Gewicht? Wenn es darum geht, anderen als den üblichen Leuten Gehör zu verschaffen, dann hat das etwas Positives: Man möchte jemandem mehr Autorität zuerkennen.

STANDARD: Sie schreiben von einer populistischen Autoritätskritik, wie sie Donald Trump verkörpert. Er will sich von Wissenschaft und moralischen Autoritäten wie Gleichstellungsbewegungen nichts erklären lassen. Das ist eine Position, mit der man sich derzeit gut als Revolutionär gegen Autoritäten inszenieren kann, obwohl meist jene, die sie vertreten, selbst über viel Macht verfügen. Wie erklären Sie diese paradoxe Konstellation?

Newmark: Deshalb fand ich den Begriff der Autorität so interessant: Historische, altmodische und auch nicht besonders fruchtbare Formen von Autorität haben plötzlich einen Aufschwung. Diese populistischen Inszenierungen haben immer sehr viel mit Männlichkeitsinszenierungen zu tun. Trump inszeniert hier selbst althergebrachte Autoritätsvorstellungen vom "starken Mann". Aber populistische Politiker schließen gleichzeitig auch an den Gestus der Autoritätskritik an, den wir nun seit gut 200 Jahren in der westlichen Moderne etabliert haben, und säen damit Zweifel an Wissenschaft und Moral. Autoritätskritik kann also genauso wie Autorität missbraucht werden.

Catherine Newmark, "Warum auf Autoritäten hören?". 14,– Euro / 128 Seiten. Dudenverlag, 2020

STANDARD: Bei der populistischen Autoritätskritik spielt der Begriff der Vernunft oft eine große Rolle, die alltagstauglichere Variante davon ist der "Hausverstand". Rechtspopulisten sprechen etwa gern von "Klimahysterie".

Newmark: Ja, das ist interessant. Man beruft sich mit diesem Gebrauch von Vernunft aber eher auf den Common Sense, auf den Sensus communis, die geteilte Meinung, das üblich Gedachte. Das wird tatsächlich immer wieder als vernünftig beschrieben. Es gibt da zwar eine Verbindung zur Vernunft im Sinne der Aufklärung, aber der Common Sense ist eine weitaus weniger kritische Kategorie als die Vernunft, die ein Instrument der permanenten Selbsthinterfragung ist. Die Berufung auf den "gesunden Menschenverstand" wird viel öfter eingesetzt, um kritisches Nachdenken über die Verhältnisse gerade zu unterbinden. Aus der Warte eines philosophischen Vernunftsnobismus ist die geteilte Meinung nicht besonders vernünftig und darum auch keine schicke Kategorie. Der Referenzrahmen für das Unvernünftige ist übrigens oft auch das alte Klischee vom Vernunftmangel des weiblichen Wesens, politischer Populismus spielt ja ganz oft mit traditionellen Geschlechterkategorien. "Hysterie" als Vorwurf trägt in sich immer auch die althergebrachte Vorstellung von hysterischen Weibern, im Gegensatz zu den vernünftigen geteilten männlichen Meinungen.

STANDARD: Sie beschreiben patriarchale Formen von Autorität als besonders ungeklärte Autoritätsverhältnisse. Warum?

Newmark: Mir scheint, dass sie in unserem kollektiven psychischen Unbewussten noch eine große Rolle spielen. Bei Autorität denkt man unwillkürlich an männliche Machtinszenierungen oder an gestrenge Väter. Wir haben viele altmodische Bilder davon, was eine Autorität ist. Die bilden allerdings nicht zeitgemäß ab, in welchen Machtverhältnissen wir tatsächlich leben. Es hat ja kaum jemand mehr so einen Vater zu Hause, wie ihn Michael Haneke in Das weiße Band zeigt. Heute sind die Formen, wie wir Autorität leben, viel flexibler.

STANDARD: Eine neue Entwicklung sehen Sie bei den Jugendlichen, die sich bei den Fridays for Future engagieren. Haben sie kein Problem mit Autoritäten?

Newmark: Nein, nicht prinzipiell, scheint mir. Es gibt viele Studien dazu, warum Jugendliche heute nicht mehr so stark gegen ihre Eltern rebellieren. Das ist also ganz anders als bei den politisch aktiven jungen Leuten der 68er. Das hat natürlich damit zu tun, dass Eltern heute viel weniger autoritär auftreten, dass Jugendliche heute Autorität als etwas wahrnehmen, das nicht allumfassend ist. Jugendliche heute wissen, dass man Autoritäten kritisieren kann – und, das ist bei Fridays for Future ganz stark der Fall: Sie fordern von den vorhandenen Autoritäten, dass sie ihre Verantwortung endlich wahrnehmen und das Richtige tun. (Beate Hausbichler, 19.9.2020)