Die Situation am Grenzübergang zur Ukraine, wo über 1.000 jüdische Pilger auf Weiterreise hofften.

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Minsk/Kiew – Am Grenzübergang zwischen Belarus (Weißrussland) und der Ukraine bietet sich derzeit ein ungewöhnliches Bild. Belarussischen Grenzschützern hinter Absperrgittern stehen über tausend jüdisch-orthodoxe Pilger gegenüber. Sie wollen zum jüdischen Neujahrsfest, das von Freitag bis Sonntag stattfindet, in die ukrainische Stadt Uman pilgern. Die Ukraine, in der es bisher mehr als 162.000 Corona-Fälle gab, hat Ende August jedoch ihre Grenze für Ausländer geschlossen.

Pilger und Grenzschutzbeamte stehen einander gegenüber.
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Doch trotz der Reisewarnung trafen diese Woche laut dem belarussischen Grenzschutz über tausend Menschen an der Grenze ein, darunter auch 242 Kinder. Ihr Ziel ist das Grab von Rabbi Nachman in der zentralukrainischen Stadt Uman. Der Rabbi hatte Anfang des 19. Jahrhunderts die Bewegung der Breslower Chassidim begründet, einer bis heute bestehenden ultraorthodoxen Gruppe. Die Pilgerreise zu seinem Grab ist für deren Anhänger eine – mit einigen Unterbrechungen – seit über zweihundert Jahren bestehende Tradition. In den letzten Jahren trafen zum Neujahrsfest bis zu 40.000 Menschen an seinem Grab ein. Traditionell stammen die Pilger aus Osteuropa, vor allem aus der Ukraine, Belarus, Polen und Litauen, aber zunehmend auch aus Israel und den USA.

Versorgung sichergestellt

Belarus hatte die Pilger seine Grenze passieren lassen, doch am Übergang zur Ukraine gibt es nun kein Weiterkommen mehr. Die ukrainischen Behörden versorgten die Wartenden aber mit Lebensmitteln und brachten sie in Zelten unter. "Seit gestern gab es keine Provokation, keine angespannte Situation", sagte ein Sprecher des ukrainischen Grenzschutzes am Freitag. Die Lage sei unter Kontrolle.

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko plädiert dafür, die Pilger über einen "humanitären Korridor" nach Uman reisen zu lassen. Der stellvertretende Außenminister der Ukraine, Jewgeni Jenin, beharrt hingegen darauf, die Menschen nicht ins Land lassen zu können: "Im Moment erlaubt es uns die Situation nicht, eine zusätzliche Anzahl chassidischer Juden in die Ukraine einreisen zu lassen." Trotz der Beschränkungen befinden sich nach Polizeiangaben bereits tausende jüdische Pilger in Uman.

Freitagvormittag verließen einige hundert Wartende den Grenzbereich und traten die Rückkehr in ihre Heimatländer an. Damit verblieben noch rund 700 Pilger in der neutralen Zone. Ob alle von ihnen abreisen, blieb fraglich. Auch zu Zeiten der Sowjetunion, als Uman gesperrt und die Pilgerreise offiziell verboten war, waren Gläubige geheim an das Grab gepilgert. "Selbst wenn die Straße nach Uman mit Messern gepflastert wäre, würde ich dorthin kriechen, um das Neujahrsfest bei meinem Rabbi zu verbringen", lautet ein bekanntes Zitat. Es ist also zu erwarten, dass einige Pilger zumindest die Dauer des Festes über an der Grenze ausharren werden. (rio, APA, 18.09.2020)