Die Regierung will trotz steigender Corona-Zahlen den Präsenzunterricht durchziehen. Die neue dreiwöchige Sonderbetreuungszeit beugt allerdings für Phasen des Home-Learning vor.

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Was tun, wenn das eigene Kind zu fiebern und niesen beginnt? Diese Frage stellen sich angesichts steigender Corona-Zahlen und dräuender Grippewelle derzeit viele erwerbstätige Eltern. Schon vor der Pandemie gab es für Arbeitnehmer weitreichende Möglichkeiten, um zwecks Betreuung kranker Kinder nicht in die Arbeit kommen zu müssen. So haben Eltern gegenüber dem Arbeitgeber einen Rechtsanspruch auf eine Woche Pflegefreistellung pro Jahr, bei Kindern unter zwölf sind es sogar zwei Wochen. Darüber hinaus ist im Angestelltengesetz vorgesehen, dass Eltern sich freinehmen können, wenn es für ein erkranktes Kind keine anderen zumutbaren Betreuungsmöglichkeiten gibt (mehr dazu hier). Bei diesen beiden Optionen muss der Arbeitgeber die Beschäftigten während ihrer Freistellung voll weiterzahlen.

Elternbrief über Kinder mit Fieber

Glaubt man den jüngsten Informationsschreiben der Regierung, so gibt es ab Oktober bis Februar 2021 mit der sogenannten Sonderbetreuungszeit noch ein weiteres Instrument, um sich für die Kinderversorgung freizunehmen. Anfang September erging an alle Eltern ein Brief von Arbeitsministerin Christine Aschbacher und Bildungsminister Heinz Faßmann (beide ÖVP). Darin werden die Eltern aufgefordert, zur Verhinderung der Corona-Ausbreitung ein besonders genaues Auge auf die Symptome ihres kontaktfreudigen Nachwuchses zu werfen.

Die türkisen Minister haben auch eine Faustregel parat: "Ab einer Körpertemperatur von mehr als 37,5 Grad ist definitiv von einem Schulbesuch abzusehen." Für solche Fieber-Causen wird allerdings eine Lösung angeboten: Eltern könnten bis kommenden Februar "Sonderbetreuungszeit im Ausmaß von bis zu drei Wochen unter Fortzahlung des Entgelts in Anspruch nehmen". Auch in einem aktuellen Folder auf der Website des Bildungsministeriums wird mit der dreiwöchigen Sonderbetreuung für die Eltern kränkelnder Kinder geworben.

Regelung hat nichts mit Fieber zu tun

Die neue Sonderbetreuungszeit soll noch im September gesetzlich verankert werden, bereits am Donnerstag wurde der Vorschlag vom Sozialausschuss gebilligt. Ein Blick in den Gesetzesentwurf des Arbeitsministeriums zeigt allerdings, dass dort von kranken Kindern überhaupt keine Rede ist, geschweige denn von der 37,5-Grad-Marke. Stattdessen können Arbeitnehmer die neue Sonderbetreuungszeit beantragen, wenn Schulen oder Kindergärten "aufgrund behördlicher Maßnahmen teilweise oder vollständig geschlossen werden".

Auch der Arbeitsrechtler Martin Gruber-Risak stößt sich am Widerspruch zwischen der Regierungskommunikation und dem nun vorgelegten Gesetzestext: "Da hat man offenbar versucht, eine Reform mit einem Szenario zu verkaufen, auf welches das Gesetz gar nicht zutrifft", sagt Gruber-Risak zum STANDARD. Das Gesetz ziele gerade nicht auf das Szenario kranker Kinder, sondern auf zugesperrte Schulklassen – obgleich Bildungsminister Faßmann das Wintersemester unbedingt mit Präsenzunterricht durchziehen will.

Inhaltlich sinnvoll

Experte Gruber-Risak hält den Zuschnitt der Sonderbetreuungszeit auf Schulschließungen inhaltlich für durchaus sinnvoll. "Arbeitnehmer haben ja jetzt schon einen Anspruch auf Dienstfreistellung, wenn sie ihre kranken Kinder betreuen müssen. Dafür hat es ohnehin nie eine Sonderbetreuungszeit gebraucht." Sehr wohl aber könnte die Sonderbetreuung greifen, sobald Schulen – wie während des Lockdowns im Frühling – nur mehr Notbetreuung vor Ort anbieten. Denn da haben Eltern kein Recht auf die etablierten Möglichkeiten der Freistellung, zumal sie ihre Kinder ja theoretisch zur Aufsicht an die Schule schicken können, erklärt Gruber-Risak.

Kein Rechtsanspruch, Arbeitgeber zahlen nur die Hälfte

Einen Rechtsanspruch gibt es allerdings bei der Sonderbetreuungszeit nicht, wie SPÖ und FPÖ kritisieren. Arbeitnehmer sind folglich auf die Zustimmung des Arbeitgebers angewiesen. Außerdem wissenswert: Die Sonderbetreuungszeit kann nicht nur vereinbart werden, wenn die Schließung von Schule oder Kindergarten im Coronavirus gründet, sondern auch während der ganz normalen Sperrzeiten: den Ferien.

Viele Eltern haben dieses Jahr ihren regulären Urlaub wohl schon verbraucht, teils auf Anordnung des Dienstgebers. Wer trotzdem in den Herbst- oder Weihnachtsferien freihaben möchte und ein gutes Verhältnis zur Chefin hat, könnte das mittels Sonderbetreuungszeit versuchen, meint Arbeitsrechtler Gruber-Risak. Um die Chance auf eine Vereinbarung zu erhöhen, springt der Staat ein und übernimmt für den Unternehmer während der Sonderbetreuungszeit künftig die Hälfte der Lohnkosten – bisher war es nur ein Drittel. (Theo Anders, 21.9.2020)