Lore Stefanek und Ulli Maier stoßen in "A Doda" auf offenbar unvergängliche (Plakat-)Fracht.

Foto: APA/Schlager

Das weiß-blaue Personal Thomas Bernhards, reich an Jahren und von unvermindert brauner Gesinnung, hat sich anno 2020 ins Varieté geflüchtet. Die Figuren aus "Der deutsche Mittagstisch", irgendwann Ende der 1970er ausgedacht, sind niedliche Wiedergänger der alten Nazi-Chargen, aus grobem Puppenholz geschnitzt. Dazu tragen diese Oberbayern scheußliche Höllenfratzen völlig ungeniert zur Schau.

Weil der ganze Dramolettenreigen vom Höllengelächter seines Schöpfers garniert wird, hängt das Konterfei Bernhards im Josefstadt-Theater als Fotoausriss über dem Bühnenportal. Mit kohleglühenden Punktaugen, wobei der Dichter mit Mörderhänden unschuldige Barockengel martert. Als Wiedergänger seiner selbst darf sogar Regisseur Claus Peymann gelten: Mitten im achten Bezirk möchte er jenen Höllenspaß liefern, den ihm, an anderer (älterer) Wirkungsstätte, Martin Kušej verwehrt.

Vergeben und vergessen, dass der heute in Köpenick ansässige alte Meister die Josefstadt einst als anrüchige Schlummerstätte abtat. Der "Mittagstisch" setzt sich aus sieben schneidend scharfen Kabarettszenen aus dem bundesrepublikanischen Alltag zusammen. Man blickt wie durch braun gefärbtes Glas auf die bessere, bigottere Gesellschaft zwischen Augsburg und Tegernsee.

Der Kindheitswelt verpflichtet

Die Figuren sind selbstverständlich Bernhards Kindheitswelt am Traunstein verpflichtet. Kirchgängerinnen, die Migranten mit überschnappender Stimme den Tod durch Vergasung zudenken. Alt-Nazis, die bei Sekt und "Sahne" den Freispruch in ihren Kriegsverbrecherprozessen feiern: ein Nest von tortenfressenden Visconti-Vampiren. Solche Gespenster mögen für den einen oder anderen ihren realen Schrecken verloren haben. Ihr Handicap ist dennoch unser Schicksal. Sie wollen sich nicht zur Ruhe legen. Sie reichen ihr borniertes Gewäsch, ihren schauerlichen Gesinnungskitsch sauber abgeschmeckt an die heutige Generation Slim Fit weiter.

Peymann und sein Bühnenbildner Achim Freyer belassen die Empörungsanlässe dieser Anti-Heimatliteratur fix in der Vergangenheit. Eher schon findet sich am fernen Horizont der (unsichtbare) Punkt der Kulmination: Vier Mal kehrt das plüschrote Portal wieder und bildet ein Spalier in die Tiefe. Der Boden hingegen ist eine Scheibe: Auf ihr wird mit tobender Inbrunst gespielt, zumal wenn Schauspielerinnen wie Lore Stefanek und Traute Hoess die Bernhard-Suada zum Glühen bringen.

"A Doda": Zwei rechtschaffene Damen stolpern über ein in Packpapier geschlagenes Paket. Stefanek und Ulli Maier bereiten einander die höchste Erregungslust, wie sie nur die Aussicht auf einen mutmaßlich maskulinen Leichnam bescheren kann. "Maiandacht": Zwei Frauen in froschgrünem Kostüm nutzen den Kirchgang zu Geschwätz und Gezeter: Eintracht, Festtracht, Niedertracht. Hoess kippt als "zweite Nachbarin" in eine wahre Ekstase der Blutgesinnung hinüber.

Stets wahrt Peymann den Abstand zu den belebten Holzpuppen. Er hält es mit Brecht: Man braucht nicht vom "Volk" zu sprechen, solange es Bevölkerung gibt. Lockt die Polizistengattin Maria (Sandra Cervik) in dem Sketch "Match" ihren Koloss von Mann (Robert Joseph Bartl) mit eng sitzender Gebrauchswäsche: So richtig auf ihre Kosten kommt sie nur, wenn sie vom "Einischiass'n" in Horden aufmüpfiger Studenten träumt.

Zwischen Brett'l und Liturgie

Thomas Bernhards "Der deutsche Mittagstisch" wahrt, vier Jahrzehnte nach seiner Entstehung, spielend das Gleichgewicht zwischen Brett'l und finsterer Liturgie. Der Österreicher liebster Polemiker hält den "süddeutschen Stämmen" (Hofmannsthal) seinen manchmal gewiss albernen Zerrspiegel vor.

Szenen wie die umständliche Abendshow-Satire "Alles oder nichts" sind heute weitgehend witzlos geworden. Noch immer intakt scheint jedoch Peymanns Händchen für das Herunterziehen von Charaktermasken: Schauspieler wie Michael König verwandeln sich dann in Popanze mörderischer Gesinnungsart. Und wirklich: Am deutschen Suppendeckel hängen, von Traute Hoess gelüftet, die kleinen Hakenkreuze wie Flitter, der nicht und nicht verschwinden mag.

Peymann nahm die Premierenhuldigungen als graziler Potentat entgegen: ein König in der Fremde. Aber wer sonst soll Bernhard, nehmt alles nur in allem: derart treffsicher inszenieren? (Ronald Pohl, 18.9.2020)