Als die elfjährige Amy die "Cuties" zum ersten Mal tanzen sieht, ist sie fasziniert: In knappen Hosen und T-Shirts führen sie ihre Bewegungen aus, schütteln, rütteln, hüpfen sie zu kraftvoller Musik. Cool schauen sie aus, findet Amy – so eine will sie auch sein.

Was Amy, die als Kind mit ihrer Familie aus dem Senegal in einem sozialen Brennpunktviertel in Paris wohnt, tut, um dem Gruppenzwang zu folgen, zeigt der französische Film "Cuties" (Original: "Mignonnes") in eindringlichen Bildern. Die französisch-senegalesische Filmemacherin Maïmouna Doucouré wurde in den USA beim renommierten Sundance-Festival mit dem Regiepreis ausgezeichnet. Seit Mittwoch ist der Film auf Netflix, und hier ist er heftig umstritten.

Film schlug auf Netflix Wellen

Der #CancelNetflix-Hashtag sprang am Donnerstag an die Spitze der Twitter-Trend-Rubrik. Der Film zeige eine hypersexualisierte Sichtweise von Minderjährigen und fördere Pädophilie. Der Hashtag gewann an Dynamik, als eine Szene aus dem Film mit den tanzenden jungen Mädchen zusammenhanglos auf Twitter geteilt wurde. Inzwischen gibt es eine Onlinepetition, mit der die Entfernung des Films von Netflix gefordert wird, wofür sich bis Freitagmittag mehr als 700.000 aussprachen.

Die Anti-"Cuties"-Kampagne wird mit der Qanon-Verschwörungsbewegung in Verbindung gebracht. Mehrere rechte US-Politiker setzten nach, darunter der texanische Senator Ted Cruz, der den Film als "Kinderpornografie" bezeichnete und das US-Justizministerium aufforderte, Netflix auf mögliche Verletzungen des US-Gesetzes hin zu untersuchen. Der Senator habe den Film nicht gesehen, erklärte ein Mitarbeiter von Cruz: "Es sollte absolut keinen Platz für die Aufnahme und Verbreitung dieser Szenen geben – ungeachtet des angeblichen Ziels der Filmemacherin."

Netflix

Am Dienstag gab der Rat für amerikanisch-islamische Beziehungen eine Erklärung heraus, in der Netflix aufgefordert wurde, "Cuties" von seiner Plattform zu entfernen, "wegen der beunruhigenden Sexualisierung von Kindern sowie der beleidigenden und stereotypen Darstellung des Islam und der Muslime durch den Film". In der vergangenen Woche verurteilte auch der konservative Parents Television Council den Film. Das National Center on Sexual Exploitation schloss sich dem an und forderte, Netflix solle entweder die "sexuell ausbeuterischen Szenen" des Films löschen oder den Film zurückziehen.

Sozialer Kommentar gegen die Sexualisierung von Kindern

Netflix weist die Kritik zurück. Der Film sei ganz im Gegenteil "ein sozialer Kommentar gegen die Sexualisierung von Kindern", sagte ein Sprecher der Plattform zu "The Wrap". "'Cuties' ist ein preisgekrönter Film und eine aussagekräftige Geschichte über den Druck, dem junge Mädchen in Gesellschaft und sozialen Medien ausgesetzt sind, wenn sie aufwachsen – und wir würden jeden ermutigen, dem diese wichtigen Themen am Herzen liegen, sich den Film anzusehen."

Auslöser für die Aufregung war Anfang des Monats ein Plakat, mit dem Netflix die Serie bewarb. Darauf waren die Hauptdarstellerinnen in anzüglichen Posen zu sehen, worauf es Kritik an der "Sexualisierung junger Mädchen" hagelte. Filmemacherin Doucouré erhielt nach der Veröffentlichung Morddrohungen. Das Plakat habe falsch charakterisiert, worum es in dem Film gehe, sagte die Regisseurin. "Ich erhielt zahlreiche Angriffe auf meine Person von Leuten, die den Film nicht gesehen hatten, die dachten, ich würde tatsächlich einen Film machen, der die Hypersexualisierung von Kindern entschuldigt", sagte sie zu "Deadline". "Wir müssen unsere Kinder schützen", erklärte Doucouré zuletzt bei einem Auftritt in Frankreich. "Ich möchte, dass die Menschen ihre Augen für dieses Problem öffnen und versuchen, es zu lösen." Netflix entschuldigte sich inzwischen öffentlich für die Plakate: "Es war nicht in Ordnung, und es steht auch nicht für den auf dem Sundance prämierten französischen Film." (red, 18.9.2020)

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