Das Nordirland-Gesetz, mit dem Boris Johnson Teile des Brexit-Abkommens mit der EU aushebeln will, wird von vielen als typische Verhandlungstaktik des britischen Premiers gesehen, der gerne auf hohes Risiko setzt. Aber die Gründe für dieses im In- und Ausland umstrittene Gesetz gehen tiefer; es ergibt sich aus der Logik des Brexits oder, besser gesagt, aus seinen unauflösbaren Widersprüchen.

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Der britische Premier Boris Johnson setzt gerne auf hohes Risiko.
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London hatte nach dem Referendum 2016 drei Ziele: Großbritannien will die EU-Zollunion verlassen und eigene Handelsverträge mit Drittstaaten abschließen. Es will die offene Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland – ein Kernstück des Karfreitagsabkommens von 1998 – bewahren. Aber auch Handelsschranken im eigenen Land dürfe es nicht geben.

Diese drei Ziele lassen sich nicht unter einen Hut bringen, außer die EU akzeptiert, dass über die irische Insel Waren von außen ohne Kontrolle und Zoll in den Binnenmarkt gelangen können. Und dazu ist Brüssel schon aus Prinzip nicht bereit.

Rebellion

Johnsons Vorgängerin Theresa May verhandelte mit der EU einen Brexit-Vertrag aus, in dem Großbritannien in der Zollunion verbleiben würde, bis für Nordirland eine andere Lösung gefunden wird. Dies löste eine Rebellion in ihrer Partei aus, die May ihr Amt kostete. Aus Sicht der Brexiteers war das verständlich. Denn als Teil der EU-Zollunion kann London keine eigenen Handelsverträge abschließen, etwa mit den USA.

Als Johnson Premier wurde, änderte er Mays Abkommen in diesem Punkt: Nur Nordirland sollte nun in der Zollunion verbleiben. Doch das könnte Kontrollen innerhalb des Vereinigten Königreichs notwendig machen – für viele ein erster Schritt zu dessen Zerfall, weil es sowohl einer Vereinigung Irlands als auch der Unabhängigkeit Schottlands Auftrieb geben könnte. Dennoch schluckten die Torys dieses Zugeständnis.

Das neue Gesetz will solche internen Grenzen verhindern und so diese Gefahr bannen. Das gilt auch für den abgeschwächten Entwurf, dem Johnson nun wegen Widerstands in seiner Partei zugestimmt hat. Aber damit bricht er nicht nur Völkerrecht, sondern untergräbt auch das Nordirland-Abkommen, das bei den US-Demokraten sehr populär ist. Sollte Joe Biden Präsident werden, gäbe es dann kaum eine Chance auf den von London ersehnten Handelsvertrag mit den USA.

Johnson steckt in der Klemme, aber aus eigener Schuld. Vier Jahre nach dem Brexit-Referendum ist es klarer denn je: Der britische Austritt aus der EU, den er mitverursacht hat, führt in ein wirtschaftliches und politisches Desaster. (Eric Frey, 18.9.2020)