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Wie ausgestorben: Die City of London.

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London – Weil sonst die Innenstädte veröden und immer mehr Jobs verlorengehen, will die konservative Regierung von Premier Boris Johnson die Briten ins Büro zurückholen. Das gestaltet sich schwieriger als erwartet: Viele haben es sich im Homeoffice gemütlich gemacht, fürchten die lange Pendelei.

Das Londoner Finanzviertel an einem Wochentag im September: Wo sich sonst Autos stauen und nach Feierabend Menschentrauben um die Pubs stehen, kann man die Passanten jetzt an einer Hand abzählen. Die normalerweise allgegenwärtigen Schlangen vor Sandwich-Läden zur Mittagszeit gibt es vereinzelt nur deshalb, weil viele Filialen der großen Ketten wie Pret A Manger oder Starbucks geschlossen bleiben.

Ein paar Menschen radeln doch in die City.
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Langsame Öffunung

Erhebliche Teile der City of London, glaubt Catherine McGuinness von der zuständigen Verwaltungsbehörde, "machen wieder auf, allmählich kommen die Leute zurück". Allmählich – das beschreibt den Sachverhalt sehr genau. Der Investmentbank Morgan Stanley zufolge waren auf der Insel Ende Juli gerade mal 37 Prozent der Büroangestellten am gewohnten Arbeitsplatz, in der EU lag ihr Anteil knapp doppelt so hoch. Im traditionell stillen August gingen in den 63 größten Städten Großbritanniens 17 Prozent der Angestellten in ihre Büros, in London nur 13 Prozent.

Viele Firmen geben sich mit minimalem Personalstand vor Ort zufrieden. Beim Werbeagentur-Giganten WPP verlieren sich untertags kaum mehr als 300 Menschen in Räumen für insgesamt 10.000 landesweit. Anderswo sind die Verhältnisse noch deutlicher: Viele Banken, Vermögensverwalter und Beratungsfirmen, darunter Schroders und KPMG, haben ihren Mitarbeitern das Arbeiten von daheim aus freigestellt. Der Öl-Gigant BP will sein historisches Hauptquartier am St. James’s Square verkaufen; man wolle zukünftig im "Hybrid-Modus" arbeiten, sagt CEO Bernard Looney.

Die Stadt an der Themse ist besonders von der Pandemie betroffen.
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Johnson droht Menschen im Homeoffice

Schon spricht der Unternehmerverband CBI von "Geisterstädten". Die "natürliche Vorsicht" der Menschen stelle ein Risiko für die Erholung der Wirtschaft dar, sagt Zentralbank-Chef Andrew Bailey. Die Hiobsbotschaften vom Arbeitsmarkt häufen sich, und zwar besonders bei Dienstleistern, die vom Konsum bisheriger Büroarbeiter abhängig sind. Die Kaffeehaus-Kette Costa Coffee verkündete die Streichung von 1650 Arbeitsplätzen, beim Sandwich-Verkäufer Pret A Manger verlieren 2890 Angestellte den Job, ein Drittel der Mitarbeiter.

So könne das nicht weitergehen, betonte Premier Johnson, und manche seiner Minister sprachen drohend von Jobkündigungen für jene, die im Homeoffice verharren. Von Gewerkschaft und Wirtschaftsverbänden gab es daraufhin Proteste, die Regierung ruderte daher zurück: Man werde "sich nicht einmischen in Entscheidungen, die im Dialog zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gefällt werden müssen", sagt Arbeitsministerin Therese Coffey. Johnson setzt nun auf Appelle: "Wir wollen das Land voranbringen." Eine Anzeigenkampagne, welche die Covid-Sicherheit von Geschäftszentren betonen sollte, wurde allerdings auf Eis gelegt.

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So könne es mit dem Homeoffice nicht weitergehen, findet Premier Boris Johnson.
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Hohe Todesrate

Denn den schönen Appellen stehen die Regierungsversäumnisse in der Corona-Pandemie entgegen: Eine der auf die Bevölkerungszahl bezogen weltweit höchsten Todesraten, monatelanges Schulchaos und ständige Kurswechsel bei den Vorschriften haben die Bevölkerung dauerhaft verunsichert. (Sebastian Borger aus London, 19.9.2020)