Belarus hat die Grenze zu den EU-Mitgliedern Polen und Litauen zumindest vorerst doch nicht geschlossen.

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Minsk – Belarus (Weißrussland) hat die Grenze zu den EU-Mitgliedern Polen und Litauen zumindest vorerst doch nicht geschlossen. Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko hatte die Grenzschließung am Donnerstag angekündigt, nachdem er beiden Ländern Kriegstreiberei vorgeworfen hatte. Die Grenzen zu beiden Nachbarländern blieben am Freitag jedoch vorerst offen. Litauens Regierung widersprach den Anschuldigungen aus Minsk.

Auch die Nato wies Vorwürfe zurück, dass sie in osteuropäischen Bündnisstaaten derzeit aufrüste.

"Taktische Verstärkungen" an Grenze

Lukaschenko hatte Polen und Litauen am Donnerstag vorgeworfen, sich auf einen Krieg vorzubereiten. Den beiden Ländern "gehen die Tricks aus, bevor sie einen heißen Krieg beginnen", sagte der Staatschef laut der Nachrichtenagentur Belta bei einer Rede in Minsk. Er sei daher "gezwungen", die halbe Landesarmee zu mobilisieren und "die Grenzen nach Westen zu schließen, vor allem nach Litauen und Polen".

Der belarussische Grenzschutz teilte daraufhin am Freitag mit, die Kontrollen verschärft und entlang der Grenzen "taktische Verstärkungen" vorgenommen zu haben. Die Grenzübergänge seien aber weiter für Ein- und Ausreisen geöffnet.

Der litauische Premierminister Saulius Skvernelis tat Lukaschenkos Äußerungen daraufhin als "Getöse" ab. Es seien keine Entscheidungen über die Schließung der Grenzen getroffen worden und ohnehin würden derartige Schritte "am meisten der belarussischen Wirtschaft und dem belarussischen Volk schaden".

Massenproteste in Belarus

Seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl am 9. August sieht sich der seit 26 Jahren autoritär regierende Lukaschenko mit Massenprotesten konfrontiert. Hunderttausende gehen regelmäßig auf die Straße, werfen ihm Wahlfälschung vor und fordern Neuwahlen.

Die Sicherheitskräfte gehen mit Härte gegen die Proteste vor. Die Regierung bezichtigt die Demonstranten, aus dem Ausland gesteuert zu werden: Der Westen wolle Belarus destabilisieren, um es als Einfallstor nach Russland zu nutzen. Der Nato warf Lukaschenko zuletzt vor, in Polen und Litauen Truppen zusammenzuziehen.

Nato widerspricht Vorwürfen

Das Militärbündnis widersprach dieser Darstellung. "Die Nato stellt keine Bedrohung für Belarus dar", sagte ein Bündnissprecher der Nachrichtenagentur AFP. Die Nato-Präsenz in der Region sei "rein defensiv". Niemand könne sie als "Vorwand benutzen, um gegen friedliche belarussische Demonstranten vorzugehen, die ihre Grundrechte einfordern".

Die Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja forderte die internationale Gemeinschaft unterdessen auf, "mit äußerster Entschlossenheit" auf die Niederschlagung der Proteste in ihrem Land zu reagieren. "Friedliche Demonstranten werden unrechtmäßig festgenommen, geschlagen und vergewaltigt. Einige von ihnen sind tot aufgefunden worden", sagte die 38-Jährige am Freitag in einer Videobotschaft an den UN-Menschenrechtsrat.

Oppositionsanwalt im Hungerstreik

Tichanowskaja war bei der umstrittenen Wahl Anfang August gegen Lukaschenko angetreten und kurz nach danach nach Litauen geflohen. Am kommenden Montag will sie in Brüssel mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und den Außenministern der EU-Länder sprechen. Die EU erkennt das Wahlergebnis und die Wiederwahl Lukaschenkos nicht an. Das Europaparlament forderte am Donnerstag Sanktionen gegen den Präsidenten.

Der inhaftierte Oppositionsanwalt Maxim Snak ist indes aus Protest gegen seine Anklage in Hungerstreik getreten. Dem 39-Jährigen wird eine Gefährdung der nationalen Sicherheit vorgeworfen, für Snaks Anwalt Dmitri Lajewski eine inszenierte Anschuldigung, um die freie Meinungsäußerung zu unterdrücken. Snak war am 9. September festgenommen worden.

"Katastrophale" Lage in Belarus

Die UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Belarus, Anaïs Marin, beschrieb am Freitag die Lage als "katastrophal". "Wir dürfen nicht zulassen, dass ein weiteres Mal ein eiserner Vorhang auf dem europäischen Kontinent heruntergelassen wird", sagte Marin in einer Dringlichkeitsdebatte zur Menschenrechtssituation in Belarus. Ihre Ausführungen wurden mehrfach unterbrochen durch Zwischenrufe von Vertretern von Russland, Belarus und weiteren Ländern.

Der belarussische Uno-Botschafter Juri Ambrasewih sagte in der Debatte, es sei inakzeptabel, die Vereinten Nationen dazu zu benutzen, sich in die Wahl in Belarus einzumischen. (APA, AFP, red, 18.9.2020)