Hugo Portisch ist 93 und hört nicht auf, interessante Texte zu schreiben. Jetzt den schmalen Band "Russland und wir. Eine Beziehung mit Geschichte und Zukunft" (Ecowin-Verlag). Das kommt zu einer Zeit, da die großen Player in der EU, Frankreich, aber vor allem Deutschland, ihr Verhältnis zu Putins Russland grundlegend überdenken. Kanzlerin Merkel hat nach der Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny mit harten Worten aufhorchen lassen. Es wird sogar diskutiert, die Fertigstellung der Gaspipeline Nord Stream 2 in der Ostsee zumindest zu suspendieren.

Mehr und mehr stellen sich viele europäische Entscheidungsträger die Frage, "ob Putins Russland noch ein Partner sein kann" ("Die Zeit" vom 10. September). Das Mantra von einer unverzichtbaren "strategischen Partnerschaft" mit Russland wird durch die konkludenten Handlungen des Regimes Putin infrage gestellt: militärische Interventionen in der Ostukraine (mit Abschuss einer Passagiermaschine voller Niederländer), auf der Krim, in Syrien (komplett mit Bombardierung von Krankenhäusern), in Libyen, der Troll-Krieg gegen die EU, die Beeinflussung der US-Wahl, die Unterstützung für den Wahlfälscher und Diktator Lukaschenko in Belarus und die lange, lange Liste von Morden beziehungsweise Anschlägen gegen Oppositionelle und kritische Journalisten.

Hugo Portisch veröffentlicht sein neues Buch: "Russland und wir. Eine Beziehung mit Geschichte und Zukunft".
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Hugo Portisch sieht das ganz anders: Mit dem "neuen Russland", das seinen Platz in der Weltpolitik konsequent einzunehmen versucht, habe sich "die Welt – insbesondere aber die Europäer – abzufinden". Kleiner einschränkender Nachsatz: "Selbst wenn wir alle auch Putin noch eine Zeit lang hinzunehmen hätten. So lange, bis es auch Russland schafft, seine inneren Freiheiten zu finden".

Destabilisierung

Das ist wohl die Linie, die auch die österreichische Außenpolitik und die große Mehrheitsmeinung in diesem Land unterschreiben würde. Gut mit den Russen auskommen, gute Geschäfte mit ihnen machen.

Portisch untermauert seine Argumentation mit interessanten Ausflügen in die russische Geschichte und mit Reminiszenzen an seine eigenen ausgedehnten Reisen, vor allem in die damalige Sowjetunion. Wer die sowjetisch-russische Welt ebenfalls kennenlernen konnte, kann vieles nachvollziehen, unter anderem in Bezug auf die elendslange Geduld des russischen Volkes. Tatsächlich kann es ja keinen Zweifel geben, dass "Europa" mit dem doch irgendwie auch zu Europa gehörigen Russland ein gutes Verhältnis unterhalten muss. Und es ist etwas dran an der langen Perspektive, die Portisch andeutet – ein gewandeltes Russland wäre eine Stärkung für Europa.

Doch Russland mag auf Sicht ein Partner sein, Putin ist es nicht oder nur unter eng umgrenzten Voraussetzungen. Seine Politik ist eine der Destabilisierung vor allem der EU, weil er ein funktionierendes, wohlhabendes, freies Europa als Gegenmodell zu seinem Russland nicht dulden kann.

Er kann überhaupt keine Gegenmodelle dulden. Das zeigt der Mordversuch an Nawalny, ob er nun direkt befohlen wurde oder (eigentlich schlimmer) von einer verselbstständigten Geheimdienststruktur kam. Mit einem solchen System können demokratische Rechtsstaaten keine "strategische Partnerschaft" bilden. Sie können allerdings, wie der österreichische Russlandkenner Wolfgang Sporrer im "Falter" vorschlägt, "harten Realismus gegenüber dem Putin-Regime" und ein aktives Zugehen auf die russische Bevölkerung miteinander verbinden: "So wie man in der EU lebt, würden viele Russen auch gern leben." Das ist allerdings ein Langzeitprogramm. (Hans Rauscher, 18.9.2020)