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Und dann kommt doch wieder alles ganz anders: Keine zwei Tage nachdem das US-Finanzministerium eine Anordnung zur Verbannung von Tiktok aus den USA veröffentlicht hat, wird diese wieder auf Eis gelegt. Stattdessen verkündete US-Präsident Donald Trump am späten Samstagabend stolz, dass er einem Deal zur Amerikanisierung der beliebten Social-Media-App zugestimmt hat. Der eigentlich für Sonntag anvisierte Bann ist damit zumindest vorerst einmal vom Tisch.

Beteiligung

Die nun mit dem chinesischen Eigentümer Bytedance geschlossene Abmachung sieht vor, dass Tiktok in eine neue Firma namens Tiktok Global ausgelagert wird. An dieser soll der US-Softwarehersteller Oracle mit 12,5 Prozent beteiligt werden. Gleichzeitig soll der Datenbankspezialist als Technologiepartner über das US-Geschäft wachen. Ebenfalls beteiligt wird die Supermarktkette Walmart und zwar mit 7,5 Prozent. Walmart ist zudem als zentraler Handelspartner für die USA vorgesehen.

Trump hatte in den Vergangenheit immer wieder darauf gepocht, dass Tiktok mehrheitlich in US-amerikanische Hände kommt. Genau dagegen hatte sich aber wiederum die chinesische Regierung gewehrt, und damit gedroht, einen entsprechenden Deal zu blockieren. Mit der 20-Prozent-Beteiligung ist Tiktok Global nun aber weit von einer US-Mehrheit entfernt, soll doch Bytedance die restlichen 80 Prozent behalten. Die US-Verhandler sehen ihr Ziel aber trotzdem erreicht, und bedienen sich dafür kreativer Arithmetik. Da amerikanische Investoren wie Sequoia oder General Electric schon jetzt 40 Prozent an Bytedance halten, habe man so eine effektive Mehrheit bei Tiktok erreicht.

"Eine ganz neue Firma"

Ob dieses Konstrukt in der Praxis hält, was man sich hier verspricht, muss sich erst zeigen. Klar ist jedenfalls, dass es einen entscheidenden Vorteil bietet: Eine Zustimmung der Machthaber aus Peking dürfte damit nicht mehr notwendig sein. Trump gibt sich jedenfalls begeistert: "Es wird eine ganz neue Firma sein. Sie wird nichts mit China zu tun haben", zitiert ihn das "Wall Street Journal".

Die neu zu schaffende Firma soll ihren Sitz jedenfalls in den USA haben, dem US-Präsidenten selbst schwebt hier Texas als Standort vor. Zudem sollen 25.000 neue Jobs in den USA geschaffen werden, bisher hat ByteDance nur rund 1.000 Angestellte dort. Um welche neuen Jobs es sich hierbei handelt, lässt man dabei vorerst offen. Angesichts der großen Zahl und der Art der App ist aber davon auszugehen, dass ein bedeutender Teil in den Bereich "Content Moderation" fallen wird – also für die Moderation von problematischen Inhalten zuständig ist.

Umstrittener Bildungsfonds

Für einige Diskussionen dürfte ein weiterer Punkt des Deals sorgen: So soll Tiktok fünf Milliarden US-Dollar (4,2 Milliarden Euro) in einen Bildungsfonds einzahlen. Dessen Aufgabe sei es, "die echte Geschichte unseres Landes zu unterrichten", wie Trump bei einem Wahlkampfauftritt in Fayetteville im US-Staat North Carolina verkündete. Bei den Details gibt man sich noch zurückhalten, es ist vage von "Online-Unterricht auf der Basis von künstlicher Intelligenz und Videotechnologie" die Rede. Schon vor einigen Tagen hatte Trump die Schaffung einer Kommission zur Förderung patriotischer Bildung angekündigt. Zuletzt hatte der US-Präsident außerdem kritisiert, dass die geschichtliche Bedeutung der Sklaverei zu stark betont werde, was seiner Meinung nach die Gesellschaft spalte.

Dieser Teil des Deals dürfte allerdings nicht nur innenpolitisch für einige Diskussionen sorgen, er verblüfft auch den Verhandlungspartner. In einem Statement gegenüber chinesischen Medien betont Bytedance, dass man zum ersten Mal von dieser Spende in Milliardenhöhe höre. Man sei zwar immer daran interessiert, in den Bildungssektor zu investieren, eine Abmachung in diese Richtung gebe es aber nicht. Für Trump geht es in diesem Fall aber noch um etwas anderes: Er hatte im Vorfeld immer wieder betont, dass die US-Regierung in irgendeiner Form finanziell für ihre Rolle in den Verhandlungen rund um Tiktok belohnt werden müsse. Das soll nun offenbar über diesen Fonds passieren.

Cloud-Deal

Bei Oracle scheint man den Deal vor allem unter einem Blickpunkt zu betrachten: Dass man hiermit einen großen Kunden für das eigene Cloud-Geschäft gefunden hat. "Oracle wird die Tiktok-Systeme bald in die Oracle Cloud übernehmen und dort weiter skalieren", heißt es in einer offiziellen Stellungnahme von Firmenchef Safra Catz. Zudem soll Oracle auch vollen Zugriff auf den Quellcode von Tiktok erhalten, um zu garantieren, dass hier keine Hintertüren der chinesischen Regierung zu finden sind. Die Unterstellung, dass China die App, die mittlerweile 100 Millionen Nutzer in den USA hat, zur Spionage einsetzen könnte, war der Ausgangspunkt für die Aktionen der US-Regierung.

Dass Tiktok damit nun auf eine US-Technologieplattform wechselt, ist allerdings eine Darstellung, die nur begrenzt haltbar ist. Immerhin betreibt Bytedance die App schon lange auf der Cloud-Plattform von Amazon, vor einigen Monaten wurde zudem ein Milliardendeal mit Google angekündigt. Damit verlieren also zwei US-Unternehmen, die immer wieder kritische Worte zu Trump gefunden haben, einen großen Kunden. Dass Oracle-Gründer Larry Ellison einer der prominentesten Unterstützer des amtierenden US-Präsidenten ist, fügt sich nahtlos in dieses Bild.

Abwarten

Ganz vom Tisch ist der Bann von Tiktok in den USA damit übrigens noch nicht. Denn offiziell wurde die Frist nur um eine Woche verlängert. Sollte man sich in den kommenden Tagen also doch noch über das eine oder andere Detail streiten – etwa die erwähnte Fünf-Milliarden-Dollar-Spende –, könnte die Anordnung schnell wieder zum Tragen kommen. Es bleibt also spannend. (Andreas Proschofsky, 20.9.2020)