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Die UN-Zentrale in New York werden zur diesjährigen Vollversammlungen nur wenige Teilnehmer aufsuchen.

Foto: AP Photo/Mary Altaffer

Auch die Vereinten Nationen flüchten in die virtuelle Realität. Von der Corona-Pandemie gezwungen, werden Staats- und Regierungschefs der 193 Mitgliedsländer diese Woche erstmals per Videoschaltung beim jährlichen UN-Gipfel erscheinen. Ausgerechnet im Jahr des 75. Gründungsjubiläums steht den Vereinten Nationen somit sterile Veranstaltungen ins Haus – die Ergebnisse des Gipfels dürften ebenso glanzlos ausfallen. Immerhin, so hofft UN-Generalsekretär António Guterres, könnte die elektronische Premiere zu "einer Rekordbeteiligung der Staats- und Regierungschefs" führen.

Lange schien es möglich, dass US-Präsident Donald Trump als einziger Toppolitiker die UN-Zentrale in New York aufsuchen wird. Doch laut US-Medien verzichtet Trump auf einen Soloauftritt in seiner Heimatstadt. Am Montag, beim Gipfel im Zuge von 75 Jahre UN, und am Dienstag, am ersten Tag der Generaldebatte der Vollversammlung, sind für Trump Rede-Slots reserviert. Das Weiße Haus soll nun Videos mit Trump-Reden an die UN senden.

Attacken auf die UN

Trump könnte den US-Wahlkampf in die UN tragen, befürchtet Richard Gowan von der Friedensorganisation "International Crisis Group". Nach Einschätzung Gowans dürfte Trump die Weltgesundheitsorganisation der UN angreifen, den UN-Sicherheitsrat wegen der Iran-Politik und mit "grauenerregender Rhetorik" Kürzungen der US-Zahlungen an die UN drohen.

Die Einlassungen Trumps, der um seine Wiederwahl als US-Präsident kämpft, würden die ohnehin schlechte Jubiläumsstimmung bei den Vereinten Nationen weiter vermiesen: Denn die 1945 gegründete Organisation, die eigentlich die Menschheit in eine bessere Zukunft führen sollte, hechelt den vielen globalen Krisen nur hinterher. Und von der virtuellen Generaldebatte dürften kaum Impulse zur Lösung brennender Probleme ausgehen: weder zu einer Befriedung der vielen Konflikte, von Afghanistan über Syrien bis Venezuela, noch zu neuen Verpflichtungen, um den Klimawandel noch in den Griff zu bekommen.

Auch der Kampf gegen die Corona-Pandemie, gegen Armut und Hunger, so befürchtet Gowan, wird keinen neuen Schub erhalten. "Es wird nur eine Serie langweiliger Reden sein", sagt der langjährige UN-Beobachter voraus. "Die Staats- und Regierungschefs werden sich sicherlich nicht gegenseitig ihre Videobotschaften anhören."

"Von Angesicht zu Angesicht" bevorzugt

Indirekt schraubt auch der Präsident der 75. Vollversammlung, der Türke Volkan Bozkır, die Erwartungen an den Gipfel herunter. In der Diplomatie, so doziert der erfahrene Unterhändler, gebe es "keinen Ersatz für ein Treffen von Angesicht zu Angesicht".

Normalerweise tummeln sich Ende September dutzende Monarchen, Präsidenten und Premiers mit ihren Hilfstruppen in der UN-Zentrale, nach strengem Protokoll halten sie in der Generaldebatte mehr oder weniger pompöse Reden und posieren mit ihresgleichen zum Fototermin. Vor allem aber einigen sich die Mächtigen ganz offiziell auf ehrgeizige Projekte. So gaben sie 2015 ein großes Ziel aus: Wir wollen Armut und Hunger in der Welt bis 2030 beenden. Im Jahr 2016 beschlossen sie, den Globalen Migrationspakt und einen globalen Flüchtlingspakt auf den Weg zu bringen.

Von der Öffentlichkeit unbemerkt, feilschen die Staatenlenker in New Yorker Hotels um Geld und Einfluss. Abkommen werden eingefädelt, besiegelt oder gebrochen. (Jan Dirk Herbermann, 21.9.2020)