Swetlana Tichanowskaja in Brüssel neben dem Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell.

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Brüssel/Minsk – Wegen eines Vetos von Zypern kann die EU weiter keine Sanktionen über Belarus verhängen. Zypern habe sich bei den Gesprächen der EU-Außenminister am Montag in Brüssel nicht bewegt, hieß es von mehreren Diplomaten am Nachmittag. Zypern fordert, dass gleichzeitig auch Sanktionen gegen die Türkei wegen des Streits um Gasbohrungen im östlichen Mittelmeer verhängt werden.

Der EU liegt zwar eine Sanktionsliste vor, auf der etwa 40 belarussische Regierungsvertreter stehen. Vorgesehen sind Reiseverbote und das Einfrieren von Auslandskonten. Aber noch hat sich die EU nicht darauf einigen können, die Sanktionen auch zu verhängen. Ein einstimmiges Votum der 27 Mitgliedsstaaten wäre nötig.

Somit müssen sich nun die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel Ende der Woche mit der Sanktionsfrage befassen. Sie beraten am Donnerstag und Freitag über das künftige Verhältnis zur Türkei.

Minsk und Moskau empört

Die EU-Außenminister haben durch ein Treffen mit der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja in Minsk und Moskau für Empörung gesorgt. Russland verurteilte den Empfang der Gegnerin von Staatschef Alexander Lukaschenko als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der ehemaligen Sowjetrepublik.

"Angesichts der Lage in Belarus läuft das dem Ziel zuwider, die Stabilität wiederherzustellen", sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa. Auch die Regierung in Minsk, die sonst lieber ihre Unterstützer aus Russland für sich sprechen lässt, zeigte sich empört darüber, dass die 38-Jährige auf internationaler Bühne empfangen wurde. "Unser Land hat es mit einem beispiellosen Druck von außen zu tun", sagte Regierungschef Roman Golowtschenko. Der Westen versuche das Land ins Chaos zu stürzen.

EU weist Vorwürfe zurück

Die EU wies die Vorwürfe zurück. Bei dem Frühstück mit Tichanowskaja Montagfrüh sei es um Demokratie und Menschenrechte gegangen, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. "Dies kann nicht als Eingriff in innere Angelegenheiten angesehen werden." Außerdem machten mehrere Außenminister deutlich, dass sie bereit sind, den Kurs gegen Minsk noch einmal zu verschärfen.

Tichanowskaja machte sich für Sanktionen gegen Lukaschenko stark. Die Staats- und Regierungschefs der EU hätten zwar Gründe, nicht auf Strafmaßnahmen zu dringen. "Aber ich habe sie gebeten, mutiger zu sein", sagte sie am Montag nach dem Treffen.

Oppositionelle Kolesnikowa bleibt in U-Haft

Die Oppositionelle Maria Kolesnikowa bleibt in Belarus in Untersuchungshaft. Ein Gericht in Minsk wies am Montag eine Beschwerde dagegen zurück. Vor dem Gerichtssaal hatten sich dutzende Menschen versammelt, um sie zu unterstützen. Darunter waren auch die Botschafter einiger EU-Länder. Die 38-Jährige wurde durch eine Videoübertragung zugeschaltet. Immer wieder zeigte sie mit ihren Händen ein Herz in die Kamera als Symbol ihres Protests.

Kolesnikowa ist eine der wichtigsten Anführerinnen der Opposition gegen Lukaschenko. Sie gehört auch dem Präsidium des Koordinierungsrats der Zivilgesellschaft für einen friedlichen Machtwechsel an. Vor rund zwei Wochen wurde Kolesnikowa entführt und kam dann in ein Gefängnis. Ihr drohen wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit bis zu fünf Jahre Haft. Sie selbst hat wegen Morddrohungen gegen die Polizei und den Geheimdienst KGB Anzeige erstattet.

Schallenberg "beeindruckt" von Mut der Demonstranten

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hält den Widerstand gegen das Lukaschenko-Regime für unumkehrbar. "Der Geist der Veränderung ist draußen aus der Flasche", sagte Schallenberg vor dem EU-Außenministerrat. "Es muss jedem in Minsk klar sein, dass es keine Rückkehr zum Status quo ante geben wird", so Schallenberg. Er würdigte den Mut und das Durchhaltevermögen der weißrussischen Opposition, diese seien "beeindruckend".

Der deutsche Außenminister Heiko Maas sprach sich dafür aus, auch Sanktionen gegen Lukaschenko persönlich zu prüfen. "Wir müssen feststellen, dass in den letzten Wochen nichts besser geworden ist. Die Gewalt, die Lukaschenko gegen friedliche Demonstranten ausübt, ist völlig inakzeptabel", sagte der SPD-Politiker. Man müsse sich nun die Frage stellen, ob Lukaschenko als Hauptverantwortlicher nicht auch auf die Sanktionsliste kommen solle.

Opposition wirft Präsident Wahlbetrug vor

Die Opposition in Belarus wirft der Regierung massiven Betrug bei der Präsidentschaftswahl vom 9. August vor, die Lukaschenko nach offiziellen Angaben mit 80 Prozent der Stimmen gewonnen haben soll. Seit der Wahl gibt es heftige Proteste gegen den seit 26 Jahren regierenden Präsidenten. Die Sicherheitskräfte gehen gewaltsam gegen Demonstranten vor. Schon im August hatten die EU-Außenminister deshalb grundsätzlich Sanktionen gegen Verantwortliche beschlossen. (red, APA, 21.9.2020)