850.000 Menschen in 37 Wohngebieten in Madrid und mehreren Vororten müssen seit Montag mit erheblichen Einschränkungen leben. Sie dürfen ihre Covid-Sperrzonen nur zum Arbeiten und für dringende Behördengänge verlassen. Gema Andrés lebt in einem der betroffenen Gebiete, im Stadtteil Vallecas. Seit Montag durchzieht eine Grenze, die von Polizei bewacht wird, den Stadtteil. "Auf meiner Seite der Hauptstraße ist die Mobilität eingeschränkt, auf der anderen Seite nicht", berichtet die 49-jährige Büroangestellte, die jetzt nicht mehr zur Post oder auf die Bank kann. Der Park, in dem sie ihre beiden Hunde ausführt, ist geschlossen. "Aber die Kneipen und Restaurants sind offen", schimpft sie.

Bewohner in einem der 37 betroffenen Gebiete.
Foto: EPA / Patricia Cristobal

"Sie schließen uns zu Hause ein, aber wer in anderen Teilen Madrids arbeitet, kann dort hin, in einer völlig überfüllten U-Bahn", sagt die Büroangestellte, die zum Glück im Homeoffice arbeitet. Sollte sie doch einmal ins Büro müssen, braucht sie einen Passierschein, ausgestellt vom Arbeitgeber und anerkannt von der Regionalverwaltung Madrid.

Demonstration gegen Einteilung der Sperrzonen

"Die Maßnahmen betreffen nur Arbeiterstadtteile – und Vororte vor allem im Süden", erklärt Andrés, warum sie am Sonntag an einer der Demonstrationen in den betroffenen Wohngebieten teilnahm – mit Masken und gebührendem Sicherheitsabstand. Die Menschen forderten den Rücktritt der Regionalregierung unter Isabel Díaz Ayuso vom konservativen Partido Popular (PP), die in Koalition mit den rechtsliberalen Ciudadanos und mit Unterstützung durch die rechtsextreme Vox regiert.

Auf den Pappschildern waren Wörter wie "Apartheid" zu lesen. Die Protestierenden machten Díaz Ayuso für die hohen Infektionsraten mitverantwortlich. Denn die Regionalregierung hat auch nach der ersten Covid-Welle so gut wie kein weiteres Gesundheitspersonal eingestellt. Unter anderem fehlt es an Personal, um die Kontakte der Infizierten zu verfolgen.

Wer sich wie Antonio Maestre von der Zeitschrift "Marea" die abgesperrten Zonen genauer anschaut, muss feststellen, dass die Straße mit den teuersten Geschäften im Zentrum Madrids eine höhere Infektionsquote aufweist als andere in Arbeiterstadtteilen, die ihre Mobilität eingeschränkt sehen. Und die Blocks rund um große Einkaufszentren sowie die Zufahrtsstraßen bleiben ebenfalls offen, egal wo sie liegen.

Schulweg mit Passierschein

"Das ist wie in einem Film über die Berliner Mauer", sagt Christina Barredo aus dem Stadtteil Carabanchel. Die 45-jährige Chefsekretärin ist geschieden und hat zwei Söhne. "Eine Woche sind sie beim Vater, eine bei mir. Die beiden brauchen einen Passierschein von der Schule, die wie die Wohnung des Vaters außerhalb der Sperrzone liegt", berichtet Barredo. Doch es geht noch absurder. Der Park, in dem die Kinder spielen, liegt genau an der Grenze und ist von Barredos Seite aus gesperrt. "Ich muss die Beiden auf der Straße an den Vater übergeben. Der geht dann mit ihnen in den Park, bevor sie in meine Zone zurückkommen", lauten die Pläne Barredos. "Das alles wird leider nichts helfen", ist sie sich sicher. "Denn wir können zum Arbeiten überall hin, nur in der Freizeit dürfen wir den Stadtteil nicht verlassen." Und innerhalb der Sperrzonen sind die Kneipen und selbst die Wettbüros offen. "Das ist völlig verrückt", resümiert Barredo, die gerade dabei ist, einen eigenen Passierschein zu organisieren; für eine Fortbildung muss sie am Donnerstag Homeoffice und Sperrzone verlassen.

Wollen künftig kooperieren: Madrids Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso und Ministerpräsident Pedro Sánchez.
Foto: EPA / Emilio Naranjo

Ab Mittwoch wird die Polizei, die die Sperrzonen bewacht, mit Bußgeldern hart durchgreifen. Wie lange das so gehen soll, steht nicht fest. Und was sonst unternommen wird, um des Virus Herr zu werden, auch nicht. Und das obwohl sich am Montag Díaz Ayuso und der Chef der spanischen Regierung, Pedro Sánchez, erstmals in der Covid-Krise trafen. Dabei einigten sich die beiden erst einmal nur auf einen "Raum der Kooperation", der aus einer "Covid-19-Gruppe" besteht, indem sich Vertreter beider Regierungen einmal die Woche treffen sollen. Díaz Ayuso forderte den Einsatz der Armee zur Kontrolle der Sperrzonen, falls nötig. (Reiner Wandler, 21.9.2020)