Viele Filme und Bücher beschäftigen sich mit Person und Werk Sigmund Freuds: Der Film "Sigmund Freud. Jude ohne Gott" will ihm noch ein Stück näher kommen.

Filmgarten

Sigmund Freud war ein Visionär. Dieses Klischee über den Begründer der Psychoanalyse hat einen konkreten Kern: In vielerlei Hinsicht sind optische Erfahrungen in dieser Theorie präsent, zum Beispiel in den Halluzinationen der Hysterikerinnen, von denen Freud erste wichtige Erkenntnisse gewann, aber auch in dem Moment, in dem Freud in einer ekstatisch-produktiven Nacht "bis zu den Bedingungen des Bewusstseins hindurchschaute". Er hatte damals also eine Transparenzerfahrung, die ihm den psychischen Apparat aufschloss. Und dann waren da aus der Kindheit noch die "Illustrationen der Philippsonschen Bibel", die Freud sein Leben lang begleiteten und seine Vorstellungswelt prägten.

Das alles übersetzte er allerdings in Sprache, in seine berühmte, durch Klarheit und Eleganz faszinierende Prosa. Sein Leben ist zwar, wie es für eine bürgerliche Biografie im fotografischen Zeitalter typisch ist, auch in Bildern gut dokumentiert. Es gab aber bisher noch keine Biografie, die zwischen dem klassischen Zugang von Biopics (von Axel Corti über David Cronenberg bis Marvin Kren) und dem noch orthodoxeren Zugang einer gedruckten Schwarte (das große Buch von Peter Gay) einen Weg gesucht hätte, der tatsächlich ein Bild von Freud ergibt, das seinen Formen des Vorstellens gerecht wird.

Material aus Filmgeschichte

Diese Lücke versucht David Teboul mit Sigmund Freud. Jude ohne Gott zu füllen. Ein dokumentarischer Essay mit prominenten Stimmen (Johannes Silberschneider, Birgit Minichmayr ...), in dem gefundenes (genauer gesagt wohl: gesuchtes) Material an die Stelle der bei Freud beschriebenen Erfahrungen tritt. Manchmal hat Teboul auch "nachgedreht", zum Beispiel die berühmte Szene aus der Kindheit, als Freuds Vater von einem christlichen Antisemiten der Hut vom Kopf in den Dreck geschlagen wird. Vor allem aber hat er aus der (zeitgenössischen) Filmgeschichte Material zutage gefördert, das nun an die Stelle der – zugespitzt gesagt – Träume tritt, die für Freud das Material für seine Theoriebildung waren.

Man wird von Teboul also sowohl informiert (der Film hat durchaus didaktischen Wert), man wird aber vor allem in eine Bewegung hineingenommen, die Bilder produktiv macht. Das Material ist immer wieder so interessant, aber auch so merkwürdig, dass man gerne eine Art Stellenkommentar dazu haben würde. Man könnte mit Sigmund Freud selbst zu einem Detektiv des filmhistorischen Unbewussten werden und eine Traumdeutung der Archivbilder wagen, die hier auf unsere innersten Rätselszenen treffen. (Bert Rebhandl, 22.9.2020)