Den Satz in den Text aufzunehmen wurde wohl nicht vergessen, sondern damals, im Juli 2015, für unnötig – weil eigentlich auf der Hand liegend – erachtet: "Wenn ein JCPOA-Teilnehmer aus dem JCPOA austritt, ist er kein JCPOA-Teilnehmer mehr" oder so ähnlich hätte er lauten können. JCPOA, das ist der Atomdeal mit dem Iran aus dem Jahr 2015. Die USA haben ihn im Mai 2018 verlassen und seitdem an keinen JCPOA-Aktivitäten mehr teilgenommen. "Teilnehmer" wollten sie ab 20. August aber trotzdem wieder sein – und haben dem Uno-Sicherheitsrat dadurch eine institutionelle Krise beschert, die sich gewaschen hat.

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US-Außenminister Mike Pompeo am 20. August in New York: Die USA starteten den Prozess, im Uno-Sicherheitsrat die Sanktionen gegen den Iran zurückzubringen.
Foto: Reuters / Mike Segar

Zwei Sicherheitsratsmitglieder – die USA und die Dominikanische Republik – betrachten die Uno-Sanktionen gegen den Iran seit Sonntag als wieder eingesetzt. Die anderen 13, darunter die vier ständigen Mitglieder Großbritannien, Frankreich, Russland und China, sehen das anders. Für sie bleiben die im Atomstreit ab 2006 gegen den Iran verhängten Sanktionen außer Kraft, wie es der JCPOA vorsieht.

Uno-Generalsekretär António Guterres verhält sich bisher neutral. Es gibt keine Instanz – außer vielleicht den Internationalen Gerichtshof, schreibt die International Crisis Group –, die hier als Schiedsrichter tätig werden könnte. So ein Fall ist schlicht nicht vorgesehen.

Im Juli vor fünf Jahren

Der Hintergrund: Der Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA, wurde von den E3/EU+3 (EU, Großbritannien, Frankreich, Deutschland plus USA, Russland, China) zur Beilegung des jahrelangen Atomstreits mit Teheran in Wien am 14. Juli 2015 abgeschlossen. Wenige Tage später wurde er in die Uno-Sicherheitsratsresolution 2231 gegossen und erlangte somit Verbindlichkeit im internationalen Recht.

Im Text von 2231 werden die USA als "Teilnehmer" des JCPOA genannt, und sie beharren darauf, das – im Sinne der Resolution – noch immer zu sein, obwohl sie ja den JCPOA selbst als Teilnehmer verlassen haben. So eine Art Schrödingers Katze im Uno-Sicherheitsrat. Nach den Gesetzen der Quantenphysik gleichzeitig tot und lebendig. Im Falle der USA und des JCPOA: gleichzeitig drinnen und draußen.

Drinnen oder draußen?

Drinnen wollten die USA im August plötzlich aus folgendem Grund wieder sein: Mitte Oktober fällt, entsprechend dem Fahrplan des JCPOA, das Embargo für konventionelle Waffen gegen Teheran. Ein US-Resolutionsentwurf, um das zu verhindern, scheiterte. Obwohl die E3 – auch Deutschland sitzt derzeit im Sicherheitsrat – mit der US-Position sympathisierten, weil sie mit dem derzeitigen Verhalten des Iran sehr unzufrieden sind, trugen sie die ultraharte Position der USA nicht mit.

Denn sie wollen den JCPOA noch immer retten, obwohl dieser seit 2019 auch vom Iran verletzt wird. Teheran begründet das damit, dass die USA nicht nur ausgetreten sind, sondern auch die Umsetzung der JCPOA durch andere sabotieren.

Die USA lösten daher am 20. August mit der Begründung der iranischen Überschreitungen den sogenannten Snapback-Mechanismus aus: zumindest nach ihrem eigenen Verständnis. Denn nach Meinung der anderen Sicherheitsratsmitglieder (mit Ausnahme der Dominikanischen Republik an der US-Seite) sind die USA ja kein "Teilnehmer" mehr und können das gar nicht. Nach Auslösung des Snapback-Mechanismus wäre eine neue Resolution nötig, um die Aufhebung der Sanktionen zu bestätigen. Wäre sie gekommen – die USA hatten, um ihre Rechtsposition zu untermauern, Druck auf Sicherheitsmitglieder wie etwa Indonesien gemacht, so eine Resolution einzubringen –, dann hätte Washington ein Veto dagegen eingelegt: Und die Sanktionen sind wieder da. Aber auch wenn keine Resolution kommt, die die USA zu Fall bringen können, sind die Sanktionen nach 30 Tagen wieder in Kraft.

Sanktionen wieder in Kraft?

Genau das ist aus US-Sicht am Sonntag geschehen: 30 Tage nach Auslösung des Snapback schnappen die Sanktionen gegen den Iran wieder zurück. Nach dem Verständnis der anderen hingegen ist gar nichts passiert. Denn da wurde der Snapback ja nicht ausgelöst.

Die USA werden es aber nicht dabei bewenden lassen: Es sind bereits Sekundärsanktionen gegen jene in der Pipeline, die die US-Position nicht anerkennen und weiter agieren wollen, als wäre die Sicherheitsratsresolution 2231, die die meisten im Atomstreit verhängten Sanktionen aufhob, noch gültig. Bald wären dann Staaten und Unternehmen vor die Frage gestellt, ob sie weiter entweder Geschäfte mit den USA oder mit der maroden iranischen Wirtschaft machen wollen. Am Montagabend verkündete US-Außenminister Mike Pompeo erst einmal ein neues Set von US-Strafmaßnahmen gegen den iranischen Verteidigungssektor.

Man wird sehen, wie weit die USA gehen wollen. Sie könnten die Wiedereinführung des Sanktionenkomitees verlangen. Und nicht nur Geschäfte mit dem Iran sind infrage gestellt. Frühere Iran-Resolutionen, die wieder in Kraft wären, enthalten Maßnahmen wie die aktive Verhinderung von Handel mit Teheran, etwa die Beschlagnahmung von Waren aus und für den Iran. Auch Irans Urananreicherungsprogramm in seiner jetzigen reduzierten Form wäre wohl verboten: Es wurde ja durch die Resolution 2231 legalisiert.

Im Moment scheinen sich alle zu ducken und auf die Wahlen am 3. November zu warten. Ob Trump brav mitwartet, ist zu bezweifeln. (Gudrun Harrer, 22.9.2020)