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Night. Blackness, anyway. Darkness. No light. Nothing. Just night. Then a thundering crash. – So beginnt David Quanticks neuer Roman. Keine Fisimatenten, sofort mitten rein ins Geschehen: Eine Frau erwacht in etwas, das ein Eisenbahnwaggon sein muss, und hat keine Ahnung, wie und warum sie hier gelandet ist. An ihre Vergangenheit kann sie sich ebenso wenig erinnern wie an ihren Namen. Auf ihrem Overall steht "Garland" – aber ist das auch wirklich ihr Name? Von der Ungewissheit unterkriegen lässt sich Garland allerdings nicht. Sie beschließt, sich nach vorne zum Führerstand durchzuarbeiten, und nimmt uns damit auf einen der ungewöhnlichsten Mystery-Trips der jüngeren Vergangenheit mit.

Drehbuchautor David Quantick war vor nicht allzu langer Zeit mit dem Roman "All My Colors" in der Rundschau vertreten. Dieser Thriller um einen Autor, der sich an ein Buch erinnert, das nie existiert zu haben scheint, pendelte zwischen Horror und Humor. Und auch "Night Train" wagt diesen Spagat. Abgesehen vom allgemeinen Unbehagen, das das bizarre Setting den Protagonisten beschert, werden wir einige bemerkenswert grausige Todesarten kennenlernen. Dazwischen dürfen wir aber immer wieder mal befreit auflachen – und speziell gegen Ende hin nimmt das Geplänkel zwischen den Hauptfiguren fast schon die Züge einer Screwball-Comedy an. Sowohl Horror als auch Humor stehen diesmal aber ganz im Schatten der Frage, was zum Teufel hier eigentlich los ist.

Es fährt ein Zug durch Nirgendwo

Ich bin mal mit einer Fluglinie geflogen, die die makabre Idee hatte, im Bordkino "Final Destination" zu zeigen (...). Das hat mich ausreichend gestählt, um mir diesen Roman just für den Tag aufzuheben, als ich eine meiner wenigen Corona-Zugreisen angetreten habe. Glücklicherweise, denn Wohlfühlimpressionen hat Garlands Fahrt keine zu bieten: Vor dem Fenster scheint ewige Nacht zu herrschen, nur ab und zu leuchten draußen lautlose Explosionen oder Eruptionen auf. Einmal überquert der dahinrasende Zug rüttelnd und schüttelnd eine schwindelerregend hohe Brücke, die offenbar über einen Lavasee führt. Die Szenerie hat etwas Apokalyptisches.

Aber auch im Zug selbst herrscht alles andere als Normalität. Nachdem sich Garland aus der Holzklasse befreit hat, findet sie als Nächstes einen Waggon voller sorgsam hingesetzter Leichen. In weiterer Folge wechseln sich herkömmliche Waggons mit solchen ab, die eher nicht zum Standardrepertoire eines Passagierzugs zählen: etwa ein Boudoir, ein Tiefkühllager, ein Waggon mit einem ominös wirkenden Käfig oder einer, der nach Rosen duftet und einen Pool voller leuchtender Schildkröten enthält. Man weiß nie, was einen hinter der nächsten Tür erwartet – es kann auch ein Monster sein. Autor Louis Greenberg hat es in seinem Blurb auf den Punkt gebracht: "Night Train" zu lesen ist wie in einem beängstigenden Spiel ohne Regeln aufzuwachen.

Menschen mysteriöser Herkunft

Immerhin steht Garland nicht ganz allein da. Erst trifft sie auf Banks, einen riesenhaften, aber dennoch furchtsamen Kerl, dem einige bizarre körperliche Modifikationen angetan wurden und der offenbar schon viel länger im Zug ist als sie. Und dann auf das rabiate Society-Girl Poppy, das einen blutigen Teddybären mit sich herumträgt (und das Blut stammt nicht von ihr). Es sind drei sehr unterschiedliche Charaktere, die hier zusammengewürfelt wurden und gemeinsam vielleicht eine Chance haben, das Rätsel ihrer unfreiwilligen Reise zu lösen.

Aber zunächst werfen sie erst mal weitere Fragen auf. Schon früh schiebt Quantick das erste von mehreren Zwischenspielen ein, die Streiflichter auf die Vergangenheit der Hauptfiguren werfen – offenbar geht es im ersten um Banks. Da lesen wir von einem Jungen namens Peter, der zu begabt für seine Schule war und an ein geheimnisvolles Institut verbracht wurde, an dem er den ganzen Tag sinnlos erscheinende Aufgaben am Computer zu lösen hatte. Ein Klassenkamerad raunt ihm zu, dass diese "Spiele" in Wahrheit Teil der Kriegsbemühungen seien ... und während wir Leser noch damit beschäftigt sind, unsere unwillkürlich aufsteigenden Assoziationen zu "War Games", "Ender's Game" oder "Ready Player One" zu sortieren, endet das Zwischenspiel mit einer gänzlich unerwarteten Wendung. Ja, Qantick mag Überraschungen.

Vom großen "Warum?" getrieben

Im Grunde ist es ein uraltes Erfolgsrezept der Phantastik, ahnungslose Menschen in eine surreal anmutende Umgebung von variierender Geräumigkeit zu transferieren: eher eng wie in "Cube", von der Größe eines Dorfes wie in "Nummer 6" ("The Prisoner") oder mit jeder Menge Auslauf wie in "Lost". "Night Train" liegt da irgendwo dazwischen und weist auch tatsächlich zu allen Genannten Parallelen auf. Ebenso übrigens zu "Snowpiercer", was mir anfangs als Verweis noch zu banal erschienen wäre – ein Zug halt, aber sonst? Ja, abwarten.

Ich wage nicht zu prophezeien, ob jeder mit der Auflösung zufrieden sein wird – ganz einfach deshalb, weil sich bei Mysterys am Ende immer die Geister scheiden. Ich bin mir aber sehr sicher in der Prognose, dass jeder, der in diesen Zug eingestiegen ist, bis zum Schluss an Bord bleiben wird, um zu sehen, wohin dieser irre Trip führt.